Juni 2018

36 THEATER THEATER Alek Niemiro inszeniert „Jules und Jim“ am Thalia Gaußstraße und zeigt, worin die Kraft des Theaters liegt Foto: Fabian Hammerl JULES UND JIM „Das macht den Unterschied“ Alek, du inszenierst -„Jules und Jim“, die wohl berühmteste Dreiecksliebesgeschichte aus den Sechzigern. Gab es keine modernen Liebesge- schichten? Alek Niemiro: Ich habe den Stoff ehrlich gesagt zu den Schauspielern gewählt. Ich wollte immer schon mit Kristof Van Boven, Marie Jung und Rafa- el Stachowiak arbeiten. Also habe ich nach Stoffen gesucht, die passen könnten. Da bot sich eine Drei- ecksbeziehung an. Ich bin schließlich auf Truffaut gestoßen, es gab viele lustige Überschneidungen, Truffaut war 25, so alt wie ich heute, als er den Film drehte … Also setzt du passend zum Sommer auf die freie Liebe? „Jules und Jim“ wird häufig so verherrlicht. Aber für mich ist das nicht so eine hippieske Geschich- te, wie das oft verklärt wird, und schon gar kei- ne ideale Liebe zu dritt. Da ist von Anfang an ein ziemlich großes Ungleichgewicht. Da sind sehr individuelle Wünsche, was aus den Beziehungen rauskommen soll … Was meinst du? Ich sehe da gewissermaßen einen Teufelspakt unter den Männern. Die Frau wird eher ignoriert in ihren Wünschen. Der erste Ehemann, Jules, sagt zu Jim, „Ich kann diese Frau nicht mehr hal- ten, bitte komm, nimm du sie.“ Sie schieben die Frau wie eine Schachfigur hin und her. „Wenn du mit ihr zusammen bist, ist es das Beste, was uns passieren kann“, sagt Jules. Eine Chauvigeschichte? Die Figur der Cathe wird missverstanden. Sie wird oft als Mysterium dargestellt. Dabei ist es einfach nur eine Frau, der sehr viele Schicksalsschläge passiert sind. Ihre wilden Ausbrüche kommen alle aus einem unfassbaren Schrei nach Aufmerk- samkeit. Die Männer verstehen sie nicht. Sie ver- stecken das Unverständnis hinter Idealisierung, sie wird beinahe zur Göttin erhoben und auf ein Podest gestellt, doch beide schauen sie nicht an. Natürlich flippt sie aus, wenn sie gar nicht wirk- lich gehört wird. Ist Cathe für dich eine emanzipierte Figur? Nach den Männern hat die reale Helene in Wirk- lichkeit erst mit ihrem Leben begonnen, sie hat journalistisch gearbeitet, war Freigeist, ist gereist und hat ihr Leben lang dafür gekämpft, ihr eige- nes Leben zu leben. Ihre Schwäche war, dass sie eine emotionale Frau war, dass sie diese Männer geliebt hat und diese echte Chauvis waren. Es passiert ja, dass man sich in die falschen Men- schen verliebt … Was für eine Ästhetik wählt ihr? Es ist schon sehr abstrakt und puristisch, würde ich sagen, fast schon clean. Vieles wird zwischen den Spielern passieren. Zwischen dem Text und den Menschen. Ist das typisch für deine Handschrift als Regis- seur? Ja, am wichtigsten ist für mich die Begegnung zwi- schen Mensch und Text. Der Schauspieler ist für mich essenziell, seine private Identität steht für mich im Vordergrund. Sie bringen ja ihre Realität als Mensch mit. Mich interessiert erst mal der Mensch und wie er auf den Text reagiert, den ich ihm gebe. Ich schaue gern auf die Lust, die ein Schauspie- ler mit dem Text entwickelt, welche Reaktionen er hat. Ich schaue Menschen gern in die Augen. Ich plädiere da sehr für Minimalismus. Ich finde, das macht Theater aus und den Unterschied … Also keine postmodernen Spielereien mit Video oder krasser Lichtästhetik? Die einzige Kraft, die das Theater gegen die ganzen anderen Medien hat, sind ja die Menschen, die auf der Bühne stehen. Deswegen interessiert mich die Möglichkeit, die ganze Maschinerie von Technik anzuhalten. Die Kraft des Theaters ist eine Pau- se von all den Einflüssen zu sein, mit denen wir die ganze Zeit berieselt werden. Instagram, Fa- cebook, Videostream und, und, und … Du hast in Berlin studiert und bist seit 2015 als Regieassistent am Thalia. Träumst du von der großen Bühne – wie geht es weiter? (lacht) Nach drei Jahren höre ich ja als Assistent auf und muss dann auf eigenen Beinen als Re- gisseur stehen. Man geht dann erst mal weg und wenn man Glück hat, kommt man wieder und in- szeniert auf der großen Bühne. Man muss sich emanzipieren. Die Leute müssen einen verges- sen, dann kann man wiederkommen. Interview: Stefanie Maeck AB 1. JUNI Thalia Gaußstraße

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz