Juni 2018

35 Back for Good Reality-TV-Sternchen Angie (herrlich abgefuckt: Kim Riedle) hat ihre besten Tage hinter sich. Um einen Platz im Dschungelcamp zu ergattern, macht sie aus PR-Zwecken eine Drogenkur. Doch aus den Augen, aus dem Sinn: Danach ist nicht nur ihr Freund und Ma- nager weg, sondern auch ihre vermeintlichen Freunde. Angie muss zurück zu Mutti, in die verhasste, kleinbürgerliche Heimat. Als ihre Mutter ins Krankenhaus kommt, muss Angie sich plötzlich um ihre sehr viel jüngere Schwester kümmern – und Verantwortung über- nehmen. Mit „Back for Good“ ist der Hamburger Regisseurin Mia Spengler ein beeindruckendes Langfilmdebüt gelungen, das 2017 die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale eröffnete. Die drei Frauen, die hier aufeinandertreffen, kämpfen mit demselben Problem: zu sehr definieren sie sich über die Meinung der ande- ren, ihr Leben ist mehr Schein als Sein. Spengler inszeniert diese generationenübergreifende Selbstfindungs-Story als bittersüßes, humorvolles Drama. (sh) AB 31. MAI D 2017; R: Mia Spengler; D: KimRiedle, LeonieWesselow, Juliane Köhler / 1. JUNI 20:30 Uhr; Vorführungmit Hauptdarstellern im Studio Kino) ★★★★ ★ Goodbye Christopher Robin Schwer traumatisiert kehrt Schriftsteller A.A. Milne aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Er kann und will nicht mehr amüsante Satiren oder seichte Salonkomödien schreiben. Ehefrau Daphne ist enttäuscht, sie möchte tanzen, ausgehen, lachen. Sie hasst die Abgeschieden- heit des Landhauses, kehrt zurück in die Stadt. Plötzlich sind Milne und sein Sohn Christopher Robin, genannt Billy, allein. Während sie die Geheimnisse von Tannen und Flüssen erkunden, erfindet sie zu- sammen die wundervollen Abenteuer von „Pu der Bär”. Das Buch ist ein ungeheurer Erfolg. Billy ist perplex, sein Alter Ego aus dem Kinderbuch, Christopher Robin, wird ihm schnell lästig. Von den Eltern wird er skrupellos zu Werbezwecken eingesetzt. Er lächelt tapfer, Tag für Tag, bis seine Kindheit endgültig zerstört ist. Ein äs- thetisch virtuoses, magisch-schwermütiges Familienporträt von Regisseur Simon Curtis. (sc) AB 7. JUNI USA 2017; R: Simon Curtis; D: Domhnall Gleeson, Margot Robbie, Kelly Macdonald, Will Tilston ★★★★ ★ Hereditary Objekt-Künstlerin Annie Graham (fantastisch: Toni Colette) lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem luxuriösen Eigenheim am Waldrand. Ellen, die jüngst verstorbene Großmutter, wird beer- digt. In Annies Bestattungsrede schwingt Erleichterung mit. Wirklich zu trauern scheint einzig Annies Tochter Charlie, eine von seltsamen Ticks geplagte, somnambule 13-Jährige. Sie war Omas Liebling, doch der Einfluss der alten Dame war wohl nicht förderlich: Warum sonst verstümmelt das Nesthäkchen mit Hingabe Taubenleichen? Überhaupt mehren sich die Zeichen, dass Ellen auch nach ihrem Tod die Zügel im Hause Graham noch fest in den Händen hält. In gut zwei Stunden steigert sich Ari Asters sensationeller Schocker in eine wahre Raserei hinein, verliert aber nie seine ausgefeilte innerfamiliäre Psychologie aus den Augen. Versteckte Schuldzuweisungen bilden das Fundament für die Spirale des Grauens, die sich nun immer schneller dreht und sogar abgebrühten Genre-Kennern die Nackenhaare tanzen lässt. „Hereditary“ ist ein makellos durchdesigntes Terror-Gemälde, des- sen Plot unablässig garstige Haken schlägt. (cc) AB 14. JUNI USA 2017; R: Ari Aster; D: Toni Colette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro ★★★★★ Am Strand Szenen einer Ehe, komprimiert auf eine Hochzeitsnacht im Strandho- tel: ein interessantes erzählerisches Experiment, das Dominic Cooke in seinem Spielfilmdebüt vollführt. Literarische Vorlage für das eben- so verstörende wie anrührende Kammerspiel war der Kurzroman „On Chesil Beach“ von Bestsellerautor Ian McEwan („Abbitte“), der auch das Drehbuch schrieb. Schmerzhaft deutlich arbeitet Crooke in be- tont langsamem Erzähltempo heraus, wie die bürgerliche Prüderie der Sechzigerjahre dazu führt, dass zwei Menschen, die sich doch ei- gentlich lieben, nur schwer körperlichen Zugang zueinander finden. Bis sich die dräuende Frage klärt, ob die beiden jungfräulichen Frisch- vermählten „es“ nun endlich tun und wie das so wird, vergehen fast zwei Stunden. Die sind allerdings kunstvoll gefüllt mit detailverliebten Bildern, die vor Sixties-Zeitkolorit nur so tropfen, tollem Soundtrack und geschliffenen Dialogen, exzellent performt von Saoirse Ronan (Oscar-Nominierung u.a. für „Lady Bird“) und Billy Howle. (kj) AB 21. JUNI USA 2017; R: Dominic Cooke; D: Saoirse Ronan, Billy Howle, Anne-Marie Duff ★★★★ ★ Foto: 2017 Twentieth Century Fox Foto: Splendid Film

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