hamburg:pur Mai 2025

Foto: Oliver Fantitsch THEATER Das indische Tuch Krimi-Klassiker mit Spaß und Spannung Auch Butler Gilder (Sönke Städtler, r.) sucht den Mörder: „Das indische Halstuch“ Freundinnen von klein auf: Lenu (Britta Scheerer, l.) und Lila (Nadine Ehrenreich) Die bühnenbeherrschende Doppeltreppe in der gediegenen Eingangshalle des SchlossesMarks Priory eignet sich perfekt für die dramatischen Auftritte und Abgänge der Bewohner des Anwesens, allesamt Typen, die sich gern in Szene setzten. Am Imperial Theater, wo Intendant Frank Thannhäuser (Regie und Ausstattung) mit „Das indische Tuch“ eine psychologisch ausge- feilte Adaption des berühmten Edgar-Wallace-Stoffs vorlegt, bekommt das neunköpfige Ensemble die Gelegenheit, die Prachttreppen nach Herzenslust hinauf- und hinabzustürmen, zu schreiten oder zu stampfen. Natürlich ist der Halstuch-Mörder mitten unter ihnen, der Verdacht macht die Runde. Mal fällt er auf die Schlossherrin Lady Lebanon (eiskalt und gebieterisch: Marina Zim- mermann), mal auf den omnipräsenten Butler Gilder (spröde und komisch: Sönke Städtler) oder den eifersüchtigen Angestellten Tilling (Till Huster), des- sen Frau (Iris Schumacher) jeden Mann umgarnt. Bei Inspektor Tanner von Scotland Yard (überzeugt als hartnäckiger Wahrheitssucher: Gosta Liptow), der erst einen, dann zwei, schließlich drei Morde aufklären muss, kann sie nicht landen, denn der ist schon in die Sekretärin (EileenWeidel) verliebt. Diese soll allerdings den Sohn des Hauses heiraten, einen etwas langsamen Jüngling (einfach großartig: PatrickMichel), der nicht so sehr unter demmüt- terlichen Einfluss steht, wie es zunächst den Anschein hat. Anders als im gleichnamigen Edgar-Wallace-Kultfilmvon 1963 (mit Elisabeth Flickenschildt und Hans Clarin), schart sich hier um Mutter und Sohn keine zerstrittene Erbengemeinschaft, sondern ein Kreis aus Freunden und Angestellten. Den spannenden Verstrickungen und der Undurchsichtigkeit der Charaktere tut das keinen Abbruch. Das Stück wurde am Imperial Theater als Auftakt der Wallace-Reihe vor 20 Jahren schon einmal gezeigt und jetzt neu inszeniert. Text: Julika Pohle 1.–3., 8.–10., 15.–17., 22.–24., 29.–31. MAI und weitere Termine; Imperial Theater Meine geniale Freundin Neapolitanische Saga im Altonaer Theater Es beginnt mit einemVertrauensbruch: Intimste Tagebuch- einträge vertraut Lila ihrer Freundin Lenu an – und die liest sie nicht nur, sondern vernichtet sie sogar. Zerstören kann das die lebenslange Freundschaft der beiden nicht, wie sie Elena Ferrante (als Pseudonym) in ihrer vierteiligen Roman- Serie „Meine geniale Freundin“ beschreibt. Teil eins und zwei wurden nun als Inszenierung nacherzählt. Mehr ist es leider nicht, was Regisseurin Edith Ehrhardt macht. Erschwerend hinzu kommt, dass ein dreiköpfiges Ensemble – bestehend aus Nadine Ehrenreich, Britta Schee- rer und Frank Ehrhardt – sehr viele Rollen zu bewältigen hat. Das bringt auch ein gutwilliges Publikum an die Grenze, ste- tig neue Figuren in den Dreien erkennen zu können, obwohl das Trio wirklich überzeugend spielt. Klar wird, dass die Beziehung der beiden Mädchen – und nach der Pause der beiden Frauen – durch widersprüchliche Gefühle derart komplex ist, dass sie genau dadurch eben auch stabil wird und Jahrzehnte übersteht. Einen Zeitraum, in dem beide imNeapel der 1950er- und 1960er-Jahre auf- wachsen, existenzielle Konflikte mit den Eltern durchleben, sich gegen mafiöse Bedrohungen behaupten und kompli- zierte Beziehungen zu Männern überwinden. Dabei schlagen sie dank ihres unterschiedlichen Temperaments ganz verschiedene Lebenswege ein: Lila bleibt in ihremStadtteil hängen, während Lenu Karriere macht. Nicht ohne Neid hal- ten sie sich gegenseitig für „Meine geniale Freundin“ und verlieren sich phasenweise sogar aus den Augen. Am Ende wünscht sich die Haupterzählerin Lenu, dass sie sich nie mehr verlieren. Das indes erfahren jene Zuschauer nicht mehr, die aus der Pause nicht zurückkehren. Alle drei über- nehmen die Rolle der/des Erzählenden, das indes ermüdet über die Dauer von dreieinviertel Stunden (inklusive Pause) hinweg. Text: Dagmar Ellen Fischer 2., 3., 7.–10. MAI; Altonaer Theater Foto: Ralf Hinz 10 Foto: Oliver Fantitsch THEATER Buddenbrooks Humorvoll und bedrückend Nicht für das persönliche Glück seien sie alle geboren, erklärt der alte Konsul seinen Kindern, „denn wir sind nicht lose, unabhängige Einzel- wesen, sondern Glieder eine Kette, und wir wären, so wie wir sind, nicht denkbar ohne die Reihe derjenigen, die uns vorangegangen sind“. Die- ser Satz, der das Credo und das Verhängnis der Familie Buddenbrook zusammenfasst, wird am Ohnsorg-Theater von Thomas (streng und ehrbar: Marco Reimers), Christian (gibt den Hallodri mit viel Verve: Flavio Kiener) und Tony (Laura Uhlig) im Chor gesprochen wie eine vertraute Litanei. Auf den drei Geschwistern liegt in John von Düffels Theater- fassung des Thomas-Mann-Romans „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ der Fokus. Der stark komprimierten Handlung um zwei (statt um vier) Generationen entspricht das dichte, verschachtelte Dreh­ bühnenbild (Katrin Reimers): Die Familie agiert in engen Räumen, die bürgerlichen Geist und überkommene Werte in einer sich wandelnden Welt spiegeln. Und über dem Tisch, um den sich alle immer wieder versammeln, hängen riesig und unausweichlich die Ahnenporträts wie Götterbilder. Regisseur Marc Becker gelingt ein teils humorvoller, teils bedrücken- der Abend aus einemGuss – was auch an den aufwendigen Kostümen liegt, die Stephanie Kniesbeck passend zum 19. Jahrhundert entwor- fen hat. Zudem bereichert die plattdeutsche Sprache (Übertragung: Cornelia und Christiane Ehlers) das Bühnenstück: Sie macht es den Dramenfiguren leicht, sich auf ihrem Leidensweg vomWohlstand zum Firmenbankrott die unangenehmen Wahrheiten unverhohlen zu sagen. Als Mittlerin zwischen den Brüdern ist Tony die tragischste, berüh- rendste Gestalt der Inszenierung, zumal Uhligs Interpretation Charme und Hilflosigkeit vereint. Die Kaufmannstochter verzichtet auf ihr persönliches Glück, scheitert aber dennoch amVersuch, ein Glied der Kette zu sein. Text: Julika Pohle 2.–4., 6.–11., 20., 22.–25., 28. MAI; Ohnsorg-Theater 30.4. – 5.6.2025 NOVECENTO DE GESCHICHT VUN DEN OZEANPIANIST VON ALESSANDRO BARICCO Foto: Sinje Hasheider

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