hamburg:pur Mai 2024

THEATER Auschwitz ist auf den ersten Blick kein sehr erbauliches Thema. Aber die Auseinanderset- zung zwischen den Geschwistern ist wirklich sehr humorvoll. Das Thema Holocaust in Verbindung mit Hu- mor ist eine Gratwanderung. Auch der Roman „Serge“ wurde kontrovers diskutiert … Yasmina Reza verbindet diese beiden Seiten einfach wunderbar miteinander. Diese Familie hat auf ihr Jüdischsein bisher keinen großen Wert gelegt. Als die Mutter stirbt, ist es eigent- lich eine Schnapsidee der Enkelin, mal nach den familiären Wurzeln zu graben. Die Reise nach Auschwitz findet ohne große Erwartun- gen statt, und Serge ärgert sich über den Reisegruppen-Tourismus, den er dort beob- achtet. Vor über 40 Jahren war ich selber ein- mal dort. Da war das noch ein bisschen anders, und wir wurden als Deutsche auch nicht so toll behandelt. Im Buch fallen Äußerungen wie „Dieser Fetischismus der Erinnerung ist bloßer Schein“ ... Serges Kritik lautet in etwa: Wenn ich an die Verstorbenen denken möchte, muss ich nicht in ein hochpoliertes, mit Currywurstbude aus- gestattetes Auschwitz fahren. Diese Meinung kann ich ein bisschen nachvollziehen. Aber letzten Endes geht es in „Serge“ auch weniger ums Jüdischsein, sondern um die Verbunden- heit der Geschwister, die sich auf dieser Reise erst näher kennenlernen. Du warst von 1988 bis 1993 Ensemblemit- glied am Deutschen Schauspielhaus. Seit- dem arbeitest du freiberuflich. Ging diese Entscheidung damals von dir selbst aus? Sowohl als auch. Ich habe ja an der Hambur- ger Hochschule für Musik und Theater studiert und dann gleich amSchauspielhaus angefan- gen. Als Intendant Frank Baumbauer uns junge Schauspieler auch mal in die große weite Welt entlassen wollte, fanden wir das natürlich doof, trotzdem hat er richtig gehandelt. Zwei-, drei- mal habe ich noch bei Gerda Gmelin im Thea- ter im Zimmer gespielt und den Boy-Gobert- Preis gewonnen, dann kamen die ersten TV- Angebote. Damals war das Privatfernsehen ja noch relativ neu, und es wurde produziert ohne Ende, sodass das Drehen schnell einen großen Platz in meinem Leben einnahm. Aber in den letzten Jahren sind die Produk- tionszahlen im Film- und Fernsehbereich drastisch zurückgegangen … Das stimmt. Außerdem hat die Konkurrenz extrem zugenommen durch das inzwischen europaweite E-Casting. Als ich anfing, hatten wir noch ein geteiltes Deutschland. Dann kam die Wiedervereinigung, und es wurde ge- schimpft, dass die Ostdeutschen uns die Preise kaputt machen. Diese Ängste kann man heute gar nicht mehr nachvollziehen. Hast du die Arbeit fürs Fernsehen damals gezielt gesucht? Vielleicht sollte ich das hier nicht so laut sa- gen, aber ich bin eine Rampensau. Früher dachte ich, beimSpielen muss man schwitzen. Aber natürlich versteckt man hinter den gro- ßen Gesten auch etwas: die wahren Gefühle. Heinz Schubert, damals mein Lehrer an der Hochschule, sagte immer: Es bringt nichts, wenn du traurig bist, und man es nur bis in die dritte Reihe sieht. Dein Ausdruck muss bis in den zweiten Rang gehen. Beim Film ist das na- türlich anders. Aber inzwischen habe ich mich auch mit der Kamera angefreundet. Handelt es sich bei deinem ehemaligen Leh- rer Heinz Schubert um den Hauptdarsteller in der Mutter aller deutschen Comedy-Se- rien „Ein Herz und eine Seele“? Das Ekel Alfred, ja. Nach den Proben habe ich mich immer am Schauspielhaus mit ihm ge- troffen. Da hatte er schon seinen Feierabend- wein vor sich stehen und hat mich unterrichtet. Privat war er sicherlich umgänglicher als in seiner berühmten TV-Rolle ... Na ja, man durfte ihm nicht zu nahekommen. Umarmen und so – das mochte er überhaupt nicht. Aber ansonsten war er ein ganz feiner Mensch und toller Schauspieler, der auch ein bisschen darunter litt, dass er erst, nachdem die Serie schon lange abgedreht war und er mit der Figur des Alfreds gar nichts mehr am Hut hatte, durch sie berühmt wurde. Hattest du wegen deiner vielen Serienauf- tritte jemals Angst, zu sehr auf eine Rolle festgelegt zu werden? Damals beim „Rettungsflieger“ schon. Da habe ich ja sieben Jahre mitgespielt, bevor ich aus- gestiegen bin. Aber abgesehen davon bin ich eigentlich nie in eine Schublade hineinge- rutscht, weil ich eben immer sehr schräge Fi- guren gespielt habe. Du wurdest als Theaterschauspieler nicht nur mit demBoy-Gobert-Preis und demRolf- Mares-Preis gekürt, sondern warst 2018 auch an einer TV-Produktion beteiligt, die mit demDeutschen Comedypreis ausgezeichnet wurde ... Die Serie „Jennifer – Sehnsucht nach was Bes- seres“ mit Olli Dietrich über eine Gruppe nord- deutscher Typen auf dem Dorf. Ich spiele da Manni, den Besitzer einer Dorfdisko. Da haben wir drei Staffeln lang wirklich wunderbar rum- gespackt, weil von fünf Entscheidern beimNDR drei immer begeistert waren, während die an- deren beiden es ganz abscheulich fanden. Als einer von den dreien wegging, wurde die Serie leider eingestellt. Sollte das Fernsehen mehr wagen? Ja, aber dazu braucht man jemanden, der da- hintersteht und den Mut hat, mal zwei Jahre lang etwas durchzuziehen, auch wenn es nicht gleich funktioniert. „Der Tatortreiniger“ war so eine Produktion: zuerst ein richtiger Quoten- flop, heute absoluter Kult. Interview: Sören Ingwersen 25. MAI (PREMIERE), 30., 31. MAI und weitere Termine; Altonaer Theater 18 Foto: G2 Baraniak THEATER Dr. Fischer aus Genf oder Die Bomben-Party Galliges Gleichnis über menschliche Gier Steinreich und von einer Boshaftigkeit, dass seine Tochter ihn den per- sonifizierten Satan nennt – das ist Dr. Fischer aus Genf. GrahamGreene stellt ihn in den Mittelpunkt seines 1980 erschienenen Romans, der sowohl als Parabel auf die grenzenlose menschliche Habsucht, zu- gleich aber auch als Liebesgeschichte gelesen werden kann. Erzählt wird sie aus der Sicht von Dr. Fischers Schwiegersohn: Als der sich in Fischers Tochter Anna verliebt, möchte er gern ihren Vater kennenler- nen. Allen Warnungen zum Trotz, besucht er eine jener berüchtigten Partys, auf denen die (ebenfalls wohlhabenden) Gäste erst gedemütigt und dann mit teuren Geschenken belohnt werden. Die erste Feier über- steht er unbeschadet. Doch nach Annas Unfalltod folgt der trauernde Witwer erneut einer Einladung, die der Gastgeber als letzte ihrer Art ankündigt: An diesem Abend warten sechs Knallbonbons auf die gie- rigen Gäste – gefüllt mit fünf Schecks und einer Bombe. Ein echter Knaller ist diese Uraufführung leider nicht. Erstaunlicher- weise, denn die Bühne Cipolla ist für großartige Literatur-Adaptionen bekannt: Sebastian Kautz (Schau- und Puppenspieler) und Gero John (Komponist und Cellist) zeigen seit Jahren erfolgreich Figurentheater mit Live-Musik für Erwachsene. In „Dr. Fischer aus Genf oder Die Bom- ben-Party“ übernimmt Kautz die Funktion des Erzählers und Schwie- gersohns, alle anderen Akteure werden durch sein Spiel lebendig, samt einer jeweils der individuellen Figur angepassten Stimme: Dr. Fischer, dem die Hässlichkeit seines Charakters an der Maske abzulesen ist, dominiert mit brummigem Bass die Szenerie. Seine Gäste sind die krakeelende Mrs. Montgomery, der nach Luft ringende Anwalt, ein Ge- neral mit Befehlston, ein schüchtern Stammelnder sowie ein eitler Schauspieler. Das Stück scheint keine gute Wahl, die häufigen Figu- renwechsel bremsen den Erzählfluss aus. (def) 2.–4. MAI, Altonaer Theater Foto: Sinje Hasheider SOMMERFEST KOMÖDIE MIT MUSIK NACH DEM ROMAN VON FRANK GOOSEN OP PLATTDÜÜTSCH & HOCHDEUTSCH 26.5. – 30.6.2024

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