hamburg:pur Mai 2024

Foto: Fabian Melchers Foto: Fabian Melchers Nicht wegzudenken aus Eimsbüttel: das Urknall Foto: Charles Engelken PARTY BAR-KOLLEKTIV „Notwendige Räume“ Seit den 90er-Jahren ist das Urknall eine feste Institution in Eimsbüttel. Linke Kneipe, Kulturort, Nachbarschafts- treff, Biergarten. Anfang 2023 ist es mit neuem Betreiben- den-Kollektiv gelungen, den Laden in die Zukunft zu führen. Teilhaber und Musiker Gero Graas über Antritts- ziele, Vernetzung und eine mögliche Aufstiegsfeier „In erster Linie geht es uns darum, den Raum zu erhalten“: Gero Graas Wie genau kam es dann zur Übernahme? Der Vorbesitzer hat nach 32 Jahren des Urknalls aus Alters- gründen aufgehört. Damit es aber einen Fortbestand des Urknalls gibt, hat er dann den Laden bei einer Personalver- sammlung dem kompletten Team offeriert und gefragt, ob sich Leute vorstellen können, den Laden weiterzuführen. Mit welchem Ziel seid ihr angetreten? In erster Linie geht es uns darum, den Raum zu erhalten und einen offenen Raum für alle zu schaffen. Und natürlich hän- gen an so einemBetrieb auch eine Reihe von Arbeitsplätzen, die es wert sind, geschützt zu werden. Das Urknall gehört zu Eimsbüttel und uns ist es wichtig diesen Raum als Part der Stadtteilkultur zu leben. Habt ihr bestimmte Zuständigkeiten? AmAnfang haben wir alle alles gemacht, schließlich sind wir Neugastronom:innen. Nach nun 15 Monaten nach der Über- nahme hat sich mittlerweile alles ganz gut eingegroovt und wir konnten die Arbeit besser in Bereiche wie Finanzen, Personal, Beschaffung et cetera aufteilen. Was hättet ihr euch anders vorgestellt, wenn ihr jetzt auf über ein Jahr als Betreibende zurückblickt? Wir hätten grundsätzlich gerne etwas mehr Zeit für die Über- nahme gehabt. Der alte Chef hatte schon vorher mit dem Gedanken gespielt aufzuhören, aber dann kam Corona und er hat den Laden somit noch über diese Zeit retten wollen. Danach ging es dann aber recht fix für uns. Außerdemwaren wir etwas blauäugig, was die Bürokratie bei Banken und Ämtern angeht. Da wird man mit Bergen von Zet- teln zugeschmissen, welche dann fünffach unterschrieben werden müssen, nur damit diese dann in der Bank zwischen den Mitarbeitenden verloren gehen und das ganze Spiel wie- der von vorn losgeht. Ansonsten wäre es aber natürlich auch schön, wenn es mehr Bewusstsein seitens der Politik für solch notwendige Räume geben würde. Die Mehrwertsteuerrück- setzung auf 19 Prozent ist in Zeiten der Inflation natürlich Gero, wer alles gehört zum neuen Urknall-Kollektiv? Gero Graas: Wir sind ein Kollektiv aus vier Mitarbeitenden und einem Stammgast des Urknalls, die schon seit Jahren mit dem Laden ver-­ bunden sind. Unsere Hintergründe reichen vom Einzelhändler über Heilpraktikerin bis hin zum Kultur- schaffenden. Welche Verbindungen hattet ihr vorher zum Laden? In der Regel war es wie so oft der typische Kneipenjob, den man neben dem Hauptberuf auf Minijobbasis betreibt, um das Gehalt aufzubessern. Mit den Jahren kam somit natürlich eine immer weitere persönliche Entwicklung und Verbunden- heit jedes Einzelnen zum Laden. 10 PARTY sowohl für uns, als auch für die Gäste eine Herausforderung. Aber in Hamburg schreiben Kulturräume ja gerade leider noch viel tragischere Geschichten. Gerade die Pandemie und die Verhärtung gesellschaftspolitischer Themen hat schließlich gezeigt, dass Kulturräume, in denen wir als Gemeinschaft zusammenkommen, uns austauschen und aufeinander zu- gehen, wichtiger denn je sind. Was habt ihr räumlich verändert? Nicht wirklich viel, nur einmal alles instandgesetzt, sprich die Wände neu gestrichen, den Boden ausgetauscht und Küche, Lager und Toiletten auf Vordermann gebracht. Uns war es wichtig, dass sich die Übernahme für das Publikum so ange- nehm wie möglich gestaltet und sie nicht die Tür aufwerfen und sich gar nicht mehr wiederfinden können. Das Urknall gibt seit über 30 Jahren Menschen verschiedenster Gene- rationen ein Zuhause und in diesem sollten sich auch alle weiterhin wohlfühlen. Und inhaltlich? Inhaltlich mussten wir auch nur ein paar Stellschrauben dre- hen. Die Speisekarte beinhaltet nun deutlich mehr vegetari- sche und vegane Gerichte. Zudem haben wir wieder regel- mäßige Kulturangebote etabliert, wie das monatliche Pub-Quiz für und mit Hanseatic Help am letzten Montag des Monats. Hier spenden wir im Anschluss Teile unserer Um- sätze an Hanseatic Help und die Fragen werden von Mitarbei- tenden von Hanseatic Help vorbereitet und diese stellen die Quizmaster. Darüber hinaus gibt es nun auch einmal im Monat einen Queer-Tresen, bei dem ausschließlich queeres Perso- nal unserer Belegschaft arbeitet, umMenschen, die imNacht- leben nicht immer so befreit wie wir feiern können, einen Safer Space bieten zu können. Was sollte man sonst imMai nicht verpassen? Definitiv die Lesung mit demAutor Ernst Peter Hellmann und Peggy Parnass, in der es um einen kleinen neunjährigen Eims- büttler Jungen aus einer antifaschistischen Arbeiterfamilie aus den 50er-Jahren geht. Würdest du sagen, es ist euch gelungen das Urknall wieder politischer zu machen? Schwer zu sagen, allerdings nehmen wir vermehrt politische Themen der Gäste wahr und versuchen uns im Stadtteil mit (nicht-parlamentarischen) Institutionen wie beispielsweise der Geschichtswerkstatt zu vernetzen. Darüber hinaus bie- ten wir natürlich auch Kulturschaffenden unsere Räume kos- tenlos an. So durften wir im Februar die Clubkinder für ihr öffentliches Vereinstreffen bei uns begrüßen. Ansonsten fühlt sich aber auch der Fannachwuchs des magischen FCs bei uns sehr wohl. Häufig sieht man sich samstags am Tresen und Sonntagmittag dann im Stadion. Du sprichst es an. Ihr zeigt ausnahmslos alle Spiele vom FC St. Pauli undWerder Bremen. Was plant ihr für den mög- lichen Aufstieg? Es wird definitiv irgendeine Formeiner Aufstiegsparty bei uns geben. Schließlich sind wir die St. Pauli-Kneipe in Eimsbüttel. Uns ist es wichtig der Nachbarschaft und den Gästen nach so einer Saison auch wieder etwas zurückgeben zu können. Interview: Ole Masch 7. MAI 19:00 UHR; „Persil bleibt Persil“ mit Ernst Peter Hellmann und Peggy Parnass; urknall-hh.de a 11

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