hamburg:pur Mai 2023

Foto: jip film & verleih Foto: Pallas Film FILM Vamos a la playa Knapp 16 Jahre nach ihrem mit dem Deutschen Filmpreis aus- gezeichneten Überraschungserfolg „Prinzessinenbad“ wählt Re- gisseurin Bettina Blümner einmal mehr das Sujet junger Freunde im Ausnahmezustand. Diesmal ist es zwar keine Jugendclique aus Berlin-Kreuzberg, stattdessen junge Erwachsene auf der Selbstsuche in der fernen, exotischen Karibik. Benjamin (Leonard Scheicher), Katharina (Victoria Schulz) und Judith (Maya Unger) reisen nach Kuba, umKatharinas abgetauch- ten Bruder Wanja zu finden. Doch schon bald sucht Katharina se- xuelle Abenteuer, Benjamin und Judith hingegen die echte Liebe und verlieren ihre gemeinsame Suche aus den Augen. Als der junge kubanische Tanzlehrer Ignacio auftaucht, wirbelt das die Beziehung zwischen den dreien durcheinander. Benjamin ver- guckt sich in Judith, diese verknallt sich in Ignacio und Katharina erlebt eine sexuelle Flaute, da sie sich mit ihrer touristischen Überheblichkeit alles verbaut. Ein naiver Tourismus trifft auf kubanische Lebensrealität: Da blei- ben Missverständnisse nicht aus. „Vamos a la playa“ wird als Roadmovie angepriesen, doch das stimmt nicht ganz. Vielmehr zeigt der Film die innere Reise dreier junger Menschen mit ihren Träumen, Sehnsüchten und Befindlichkeiten. Das ist aufgrund der schönen Kulisse ansehnlich. Auch wirkt die Beziehung zwi- schen dem Trio glaubhaft. Doch der Film scheint ebenso wie die Protagonisten nicht ganz zu wissen, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Geht es um die Ziellosigkeit einer Generation? Um das soziale Gefälle zwischen Touristen und Einheimischen? Um den inoffiziellen Sextourismus der Insel? Deutlich wird bloß, dass die Regisseurin sich mit Kuba intensiv auseinandergesetzt hat. Wäh- rend ihres Studiums verbrachte sie ein halbes Jahr dort – eine Zeit, die sie nach eigener Aussage sehr prägte. Das macht sich bemerkbar: Die Drehorte sind wohl gewählt, ebenso wie die hippe kubanische Musik. Der Film wirkt wie ein spontaner Urlaubstrip – ungeplant, abenteuerlich, ohne Ziel. Bei steigenden Flugpreisen eine kostengünstige Alternative. Also: Vamos a la playa! (mag) AB 27. APRIL D/KUBA 2022; 90 Min.; R: Bettina Blümner; D: Leonard Scheicher, Victoria Schulz, Maya Unger ★★★★★ Mediterranean Fever Haifa, der palästinensische Familienvater Waleed (Amer Hlehel) ist chronisch depressiv, der Mittvierziger träumt von einer Kar- riere als Schriftsteller. Verzweifelt starrt er Tag für Tag auf seinen leeren Computerbildschirm, bringt keinen Satz zustande, küm- mert sich jedoch pflichtbewusst umHaushalt und Kinder. Mit dem Auftauchen eines mysteriösen neuen Mieters verändert sich alles schlagartig in dem sonst so ruhigen Haus mit Blick aufs strahlend blaue Meer. Jalal (grandios: Ashraf Farah), von Beruf Kleinganove mit großen Schulden und zwei furchteinflößenden Rottweilern, hört ständig lautstark schmalzige Pop-Balladen, klingelt nach Mitternacht gern an der Tür, um sich etwas auszuborgen. Auch er ist Mitte 40, aber charmant, relaxt und gastfreundlich. Politik lässt ihn kalt, voller Genugtuung konstatiert er, dass sie beide auf Kosten ihrer Ehe- frauen leben. Waleed hasst ihn anfangs, doch die Neugier über- wiegt, er bittet den aufdringlichen Nachbarn, ihn auf dessen kri- minellen Touren begleiten zu dürfen zwecks Recherche für seinen angeblichen Kriminalroman. Bald sind die beiden unzertrennliche Freunde. Maha Haj („Personal Affairs“) bezeichnet sich selbst als „zutiefst melancholische Filmemacherin mit einem gewissen Sinn für Hu- mor“. Visuell virtuos inszeniert sie die Beziehung der nur schein- bar so gegensätzlichen Männer als Spiegel für die Frustration der Palästinenser – jenes erdrückende Gefühl von Gefangenschaft, unabhängig ob imGazastreifen oder im Exil. Haifa steht hier nicht für die Co-Existenz zwischen Juden und Arabern, sondern für eine historisch nie verheilte Wunde. Herrlich die lakonischen, schwarzhumorigen Dialoge. „Mediter- ranean Fever“ birgt viele Geheimnisse genau wie seine Akteure. Dass Waleed einen Auftragskiller sucht, verblüfft nicht nur den Freund. Erst im Finale entfaltet der Film voll seine absurde Tragik. Für die in Nazareth geborene Regisseurin verkörpern die beiden Protagonisten keine toxischen Feindfiguren, sondern Antihelden, Außenseiter: zerbrechlich, traurig, den eigenen seelischen Ab- gründen hilflos ausgeliefert. (ag) AB 4. MAI D/F/ZYP 2022; 108 Min.; R: Maha Haj; D: Amer Hlehel, Ashraf Farah und Anat Hadid ★★★★★ 24

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