hamburg:pur mai 2022
THEATER Am meisten reingezogen ins Hamburgische hat mich der „Hamburger Jedermann“ von Mi- chael Batz. Seine Geschichte des Hafens hat mir Heimat geboten. In den Open-Air-Aufführungen in der Spei- cherstadt hast du 25 Jahre lang den Teufel verkörpert, bis der Spielbetrieb 2018 einge- stellt wurde. Und auch mit der freien Thea- ren Blick auf Hamburg. Hamburg hat einen ganz anderen Atem, eine andere Luft, die mir lange fremd war, aber der Menschenschlag, den ich hier angetroffen habe, hat mich sofort für sich eingenommen. Ich mag das Understatement, die Kargheit der Worte, die Zuverlässigkeit und diesen feinen, kleinen, schönen Humor, mit demman auch Katastrophen betrachtet. Den bringe ich auch imHafenstück zumAusdruck. und guten Freund von mir und Freund des Theaters, der uns dieses Projekt zusammen mit der Bank Julius Bär ermöglicht –, Isabella Vértes-Schütter vom Ernst Deutsch Theater und mir, zusammen mit der Freien Theater- gruppe Axensprung. Wir wollten ein Stück an- gehen, das bei Erfolg jedes Jahr weiterge- schrieben und zumHafengeburtstag gespielt werden soll. Wie bringt ihr denHafen visuell auf dieBühne? Durch das Stück defilieren sämtliche Schiffs- typen, die beimHafengeburtstag auf der Elbe defilieren. Ein Augenmerk liegt auf der Segel- schifffahrt, namentlich den „Flying P-Linern“ der Reederei Laeisz. Das waren die schönsten und besten Segelschiffe der Welt Anfang des letzten Jahrhunderts. Parallel entstand die Dampfschifffahrt. Das Dampfschiff gewinnt aus ökonomischen Gründen, aber das Segel- schiff kommt mit der Klimawende zurück. Am Ende plädiere ich dafür, dass Ökonomie und Ökologie endlich wieder Hand in Hand gehen sollten. Wenn der Kaufmann nimmt, muss er auch etwas geben. Klingt da der Glaube an, dass man aus der Geschichte lernen kann? Ja. Wir haben eine mythische Figur, die unsere Reederin durch die Zeiten hilft. Das ist der Klabautermann, gespielt von Sven Walser. Er kalfatert den Schiffsrumpf und sorgt dafür, dass das Schiff nicht untergeht. Nur der Kapi- tän kann den Klabautermann sehen. Meine ur- sprüngliche Idee war, dass der Klabautermann mit dem Ende der Frachtsegelschifffahrt in den 1950er-Jahren verschwindet. Aber er ist bei uns mehr als ein Hafenmännchen: Er kalfatert weiter. Sobald in der Stadt eine Katastrophe passiert, kalfatert er den Rumpf, den Grund- nährboden des Standorts Hamburg. Du bist in Schwäbisch Gmünd geboren, lebst aber seit über dreißig Jahren in Hamburg. Fühlst du dich als Hamburger? Oder ist es auch der Blick von außen, der für dich die Hamburger Geschichte so interessant macht? Ich bin in der Tat Exilant und habe einen ande- Foto: Timmo Schreiber 18 THEATER tergruppe Axensprung packst du geschicht liche Themen an, die von euch theatralisch aufbereitet werden. Woher kommt diese Vor liebe fürs Historische? Ich habe Geschichte, Latein und Griechisch studiert und wollte beruflich in diese Richtung gehen. Dann hat mich das Theater eingeholt. Nach zwanzig Jahren kam die Geschichte zu mir zurück. Bei Axensprung – die Gruppe spielt auch im „Umschlagplatz der Träume mit – ver- heiraten sich diese beiden großen Lebenswün- sche. Und das mit Erfolg. Ihr spielt in ganz Deutsch land, sogar im europäischen Ausland … Wir spielen in der deutschen Botschaft in Brüs- sel, in Strafvollzugsanstalten, Schulen und Seniorenheimen und natürlich in Theatern. Wir haben auch ein Stück über posttraumatische Belastungsstörungen bei Heimkehrern aus demAfghanistan-Kriegseinsatz imRepertoire, mit demwir bei der Bundeswehr wirklich tolle Erfahrungen gemacht haben. Die buchen uns jetzt am häufigsten. So oft, dass wir schon ge- fragt wurden, ob wir auch vor zivilemPublikum spielen. Sehr lustig. Die Produktionen, für die du als Autor, Schau spieler, Regisseur oder Produzent tätig bist, vereinst du unter dem Label „Theater Ruhm“. Was verbindest du als Künstler mit diesem Begriff? Der Titel ist von Daniel Kehlmanns Roman „Ruhm“ abgeleitet, den ich für die Bühne adap- tiert und im Theater im Zimmer aufgeführt habe. Natürlich wollte ich berühmt werden und habe mir eine Karriere gewünscht. Nach vielen enttäuschenden Erfahrungen habe ich diesen Wunsch aber abgelegt. Einfach um gesund zu bleiben. Seitdem fühle ich mich sehr wohl und bin ein glücklicher Mensch. Was ich will, ist genau das, was ich jetzt mache: eigene Pro- duktionen mit oft eigenen Texten, die den Inhalt haben, den ich rüberbringen möchte. Auch ein Lernen aus der eigenen individuel len Geschichte als ehemaliges Ensemble mitglied amDeutschen Schauspielhaus, als TV- und Filmschauspieler, als Synchron- und Hörbuchsprecher? Was du aufzählst, stimmt, aber ich selber ver- gesse das manchmal. Es ist, als hätte das je- mand anderes gemacht. Ich empfinde mich mittlerweile als ein Mensch mit vielleicht drei- ßig Lebensschichten. Ich grabe manchmal und bin ganz erstaunt, was ich da finde. Die Begriffe Karriere und Ruhm kann man ja auch ganz unterschiedlich fassen … Du sagst es. Als Schauspielerin Ines Nieri den Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares für ihre Rolle in „Tyll“ am Ernst Deutsch Theater be- kommen hat – auch dort habe ich Regie geführt – stand in der Begründung der Jury: „In diesem Stück sprüht das Leben.“ Das war für mich der Ruhm, das hat mich am meisten gefreut. Wir sind so voller Leben und haben so viel in uns, dass es mich manchmal überwältigt. Vielleicht versuche ich nur, das im Theater kurz festzu- halten. Den Fuß in die Drehtür der Zeit stellen, weil alles so schnell geht. Interview: Sören Ingwersen 5. MAI (PREMIERE), 6.–8.5., 30., 31.5. und weitere Termine, Ernst Deutsch Theater DAT FROLLEIN WUNNER KOMÖDIE VON MURAT YEGINER // URAUFFÜHRUNG AUF PLATT- & HOCHDEUTSCH // 24.4. – 11.6.2022 Foto: Sinje Hasheider
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