Mai 2019
THEATER AMPHITRYON Wie ist das wohl, wenn man plötz- lich dem eigenen Ich gegenüber- steht? So ergeht es „Amphitryon“, der vom Götterchef Jupiter gedou- belt wird, um unerkannt eine Liebesnacht mit dessen Frau zu verbringen … Leander Haußmann inszeniert das Lustspiel von Hein- rich von Kleist nun am Thalia Theater Herr Haußmann, „Wenn uns ein raffinierter Dop- pelgänger in der Liebe ersetzen kann, wer sind wir dann wirklich“ – heißt es auf der Website des Tha- lia Theaters, um Ihre Inszenierung anzukündigen… Leander Haußmann: Kann man so stehen lassen. Ist es dieser Gedanke, der Sie an Kleists Stück interessiert? Das weiß ich ja nie, was mich interessiert. Finden Sie es während des Inszenierens heraus? Zuallererst interessiert mich tatsächlich die Tech- nik, die Dreh- und Angelpunkte eines Stücks und wie es gebaut ist. Ich bin ein großer Konsument von Büchern über das Drehbuch-Schreiben – es ist interessant, das Muster einer Geschichte he- rauszufinden. Wenn das theoretische Interesse da ist, kann ich mich orientieren, was mich darüber hinaus interessiert. Dann war „Amphitryon“ kein Vorschlag von Ihnen? Der Vorschlag kam von Joachim Lux, aber er kam meiner Intention nah, da ich nach „Cyrano de Ber- gerac“ (2017 am Thalia Theater*) und nach den Filmen wieder Lust hatte auf eine strenge Form und große Weltliteratur. Drei der vier mitwirkenden Schauspieler waren schon im „Cyrano“ dabei – Jens Harzer, Marina Galic und Sebastian Zimmler; Sie arbeiten gern mit Schauspielern, die Sie schon kennen… Vor allem ist es gut für die Schauspieler, mich zu kennen. Ich habe bestimmte Arbeitsschritte, die sich für einen Schauspieler nicht immer als sinn- voll oder zielführend erschließen. Ich muss mich dann nicht erklären, warum ich etwas mache und es trotzdem zu einem Ergebnis führen wird. Und Antonia Bill kenne ich aus der Berliner Zeit – also vier gute Bekannte. Jupiter und Amphitryon werden beide von Jens Harzer verkörpert, aber beide Figuren müssen auf der Bühne im Dialog sein – wie lösen Sie das? Ich weiß es noch nicht, aber es wird funktionie- ren. Ich kann ihn ja nicht verdoppeln und frage mich sowieso, wie man das sonst machen soll: Von Zwillingen spielen lassen? Oder mit einem anderen Schauspieler besetzen, der gar nicht so aussieht, als reine Theaterbehauptung? Ist Kleist auch ein guter Bekannter? Wenn ich Kollegen erzähle, dass ich Amphitryon inszeniere, gibt es oft einen mittelschweren Auf- schrei – oh Gott, den habe ich ja noch nie gut ge- sehen. Oder: ich hasse dieses Stück. Dem konnte ich mich vor einiger Zeit nur anschließen. Wenn man aber eintaucht in diese Welt, die nicht nur eine sprachliche ist, kann man sich auf gar nicht so unlustige Weise verlieren. Es ist nicht einfach, Menschen zum Lachen zu bringen, aber für mich ist das in dieser Zeit das schönste Geräusch, das Menschen in der Gruppe machen können. Es ist Musik in meinen Ohren, eine warme Entäußerung. Das Stück ist eine Tragikomödie. Aber eben eine Komödie. Und ich rufe euch zu: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich möchte verstanden werden. Trotzdem haben Sie in den vergangenen Jahren weniger am Theater gearbeitet … Ja, wenn ich überlege, wie viel ich früher gemacht habe: Da reiste man hin, um seine Ideen auf die Bühne zu scheißen. Jens Harzer nannte mich kürz- lich scherzhaft einen Berufsjugendlichen, dass fand ich wahnsinnig lustig. Dabei bin ich wirklich gerne alt. Der Verlust der Jugend ist gar nicht so bedeutend, wie man das suggeriert bekommt. Für mich ist es fast schon eine Befreiung. Ehrlich ge- sagt, wenn jetzt mein jüngeres Ich durch die Tür käme, würde ich möglicherweise die Flucht er- greifen. Wenn man anfängt, sich an sich selbst zu langweilen, muss man die Notbremse ziehen, und die heißt dann: WENIGER! Weniger ist die große Leistung des Alters. Und deswegen ist jetzt für uns die Zeit gekommen. Für Kleist und mich. Die Welt retten kann der junge Leander, wo auch im- mer er jetzt ist. Interview: Dagmar Ellen Fischer AB 11. MAI Thalia Theater Komödie Foto: Armin Smailovic 33 Eine Tragi-
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