Mai 2018

36 THEATER THEATER Der Berliner Regisseur Philipp Stölzl ist in vielen Welten zu Hause. Er dreht Kinofilme, Musikvideos und bringt nun eine düstere Oper auf die Kampnagel-Bühne Foto: Dominik Odenkirchen FRANKENSTEIN AUF KAMPNAGEL „Ohne Liebe existierst Du nicht“ Die Nähe zu diesem Wesen und das Mitleid mit ihr ist essentiell für die Inszenierung, das würde in einer großen Guckkastenbühne auf die Distanz so nicht funktionieren. Was hat dich am Frankenstein-Stoff gereizt? Es ist ein starker Stoff, der mich tatsächlich schon lange beschäftigt. Ich hab als Bub die alte Verfil- mung mit Karloff gesehen, viel zu früh, ich war ziemlich traumatisiert danach, später dann den Roman gelesen. Das Buch ist ja ganz anders als die Genre-Verfilmungen, die auf Grusel und Horror abzielen, total psychedelisch, surreal, am ehesten mit E.T.A Hoffmann verwandt, entfesselte schwar- ze Romantik. Und eben auch politisch, was man so nicht vermuten würde. Mary Shelly hat ihn zwar als junge Frau geschrieben, aber sie behandelt darin sehr erwachsene Fragestellungen, es geht um ganz essentielle Bausteine des Menschseins. Was macht uns eigentlich aus? Und? In einem Wort: Die Liebe. Ohne Liebe existieren wir nicht. Das Monster, oder die Kreatur, wacht am Anfang der Geschichte im Wald auf und weiß nichts über die Welt, kann sich selbst auch nicht einordnen. Dann lernt sie: Kälte, Hunger, Schmerz, die Sprache der Tiere. Dann trifft es auf Menschen, die sich fürchten, ihm gewaltsam begegnen. Dann begreift es: Jedes Lebenwesen hat Eltern. Und sucht seine Herkunft, seinen Schöpfer und erfährt, dass es das einzige Wesen seiner Art ist. Es kommt aus dem Nichts und geht ins Nichts. Darum bittet es seinen Schöpfer ihm eine Gefährtin zu bauen. Es will nicht allein sein. Es will auch Liebe erfah- ren. Als ihm sein Schöpfer das versagt, nimmt es fürchterliche Rache. Es bringt die Verlobte seines Schöpfers um. Wenn es auf ewig allein sein muss, soll es sein Schöpfer auch sein. Am Ende verfol- gen sich das Monster und sein Schöpfer um den ganzen Erdball, es geht in die Arktis, an den Rand der Welt. Die Geschichte hat eine biblische Wucht, fängt auf eine Art bei Adam und Eva im Paradies an und endet mit Kain und Abel. Du bist auch Regisseur von großen Kinofilmen wie „Nordwand“ und „Der Medicus“. Verwendest du Film denn auch als Stilmittel auf der Bühne? Manchmal schon, bei „Frankenstein“ nicht. Es ist trotzdem eine sehr filmische Aufführung. In dem Sinne, dass sie ein sehr schlüssiges und geschlos- senes Narrativ hat und rasant-suggestiv, mit vielen Szenenwechseln erzählt. Außerdem ist die Insze- nierung auch ein Stück weit Unterhaltung, es gibt jede Menge Nebel und einen Wald mit Bäumen, die Arktis, sogar ein bisschen Action, Sie ist, wenn man so will, „breit“ verständlich, so wie Kino eben mei- stens ist. Ich bilde mir ein, dass man damit mögli- cherweise auch Theaterfremde begeistern könnte. Interview: Stefanie Maeck AB 20. MAI Kampnagel SZENE: Philipp, du bringst deine Basler Fran- kenstein-Theateraufführung nach Hamburg, und zwar als Oper. Was ist passiert? Stölzl: Das Baseler Schauspiel war glaube ich auf ein Art sehr musikalisch und – im guten Sinn – große Oper auf kleinen Raum. Liegt sicher auch daran, dass der Autor Jan Dvorak nicht nur Lite- rat sondern eben auch Komponist ist und sehr musikalisch schreibt. Als Georges Delnon von Basel nach Hamburg wechselte hat er uns dann gefragt, ob wir aus dem Abend nicht eine richtige Oper machen könnten. Jan hat dann das Video der Aufführung genommen und seinen eigenen Text vertont, quasi 1:1, eine Übermalung mit Musik. Warum habt Ihr Euch für Kampnagel entschie- den, nicht für die große Opernbühne? Die Basler Aufführung hatte eine Art Arena-Bühne, man saß um einen großen Käfig herum, das war intensiv und irgendwie auch brutal. Das kann man auf Kampnagel genau so wieder herstellen. In dem Käfig ist eine überlebensgroße Puppe zu sehen, die von drei Spielern geführt wird, das Monster.

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