Mai 2018
FILM Leben und Lieben in bleierner Einöde: Der jüngste Film von Thomas Stuber ist zarte Liebes- geschichte und kluger Abgesang auf eine sterbende Provinz IN DEN GÄNGEN TIEFKÜHL-POESIE 34 hamburg: pur Aktion! Für eine exklusive Preview am 21.5., 20 Uhr, im Abaton Kino verlosen wir 40x2 Karten. E-Mail mit Betreff „pur:gänge“ an pur-verlosung@vkfmi.de Einsendeschluss: 18.5. an der Laderampe gemeinsam eine schmökt und abgelaufene Waren aus dem Container zieht, sich schnell ein Würstchen in den Mund stopft oder ein Törtchen rettet. In diese Welt tritt Christian (Franz Rogowski) ein, zögerlich und schüchtern, den Kuli in der Brustta- sche und die Ärmel seines grauen Kittels lang über seine Tattoos gezogen. Man möchte gar nicht wis- sen, welcher Vergangenheit er den Rücken zukehrt, um hier noch einmal neu anzufangen. Und es dauert nicht lange, da sitzt er in seiner Neu- bauwohnung und wartet sehnsüchtig, bis sein Groß- markt wieder öffnet. Dieser Zufluchtsort, solida- risch und abgeschottet wie einst die DDR, wo Bruno ihm beibringt, den Gabelstapler zu fahren und er sich am Kaffeeautomaten in die forsche Süß- waren-Fee Marion (Sandra Hüller aus „Toni Erd- mann“) verliebt. Zögernd umwirbt er sie mit Kuchen und Cappuccino, bis sie bei der Weihnachtsfeier auf der Laderampe den Kopf auf seine Schulter legt. Wie die Gabelstapler, die Hand-Ameisen und Ser- vostapler tanzt auch die Kamera durch die Gänge, schwelgt in Horizontalen und Vertikalen, wirft den Blick durch die Regale hindurch und immer wieder auch auf die Fototapete mit Palmenstrand im Pau- senraum. Es ist ein großes Glück, dem allen zuzuschauen, diesem klugen Abgesang auf eine sterbende Land- schaft, die Regisseur Thomas Stuber und Schrift- steller Clemens Meyer mit so umwerfend viel Ge- fühl und Seele aufladen. Schließlich hört sich der Gabelstapler, fährt man seine Gabel ganz hoch und lässt sie dann ganz langsam wieder runter, wie Meeresrauschen an. Claire Rogol AB 24. MAI D 2018; R: Thomas Stuber; D: Sandra Hüller, Franz Rogowski, Peter Kurth ★★★★★ Sie war ein Höhepunkt der Berlinale: diese zarte Liebesgeschichte, die unter dem Neonlicht eines Großmarkts in Sachsen aufblüht. Inmitten bleierner Einöde an einem Autobahnabschnitt, der nach der Wende zwar ausgebaut wurde, aber nur mäßig be- fahren ist. Hier fiebert keiner einer strahlenden Zukunft entgegen und vielleicht lebt man auch des- halb mehr im Jetzt – und auch ein wenig in der Vergangenheit. Als Bruno (Peter Kurth) noch bei der VEB war und den Lkw kreuz und quer durch den Osten lenkte. Heute ist sein Bock der Gabel- stapler, den er virtuos durch die Getränkeabteilung und durch diesen ganz eigenen Kosmos fährt, in dem die Tiefkühlabteilung „Sibirien“ genannt wird und die Fischbecken „Ozean“, man trotz Verbots
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