hamburg:pur April 2024

Foto: Piffl Medien Foto: Pandora Film/NEOPA/Fictive Evil Does Not Exist Der japanische Autorenfilmer Ryūsuke Hamaguchi zählt seit sei- nem oscarprämierten Erfolg „Drive My Car“ (2021) zu den etab- lierten Stimmen des Independent Cinemas. Mit seinem neuen Film „Evil Does Not Exist“ wirft er einen kürzeren, aber feinen Blick auf das fragile Verhältnis von Mensch und Natur. Nach einer von wuchtiger Orchestermusik untermalten Kamerafahrt unter den Baumkronen eines Waldes hindurch ruht der unaufgeregte Blick der Kamera auf Takumi (Hitoshi Omika). Er hackt Holz und schöpft frisches Quellwasser für die Dorfgemeinschaft Mizubikis. Der na- turverbundene Alltag Takumis, seiner entdeckungsfreudigen Toch- ter Hana (Ryo Nishikawa) und der gut vernetzten Nachbarschaft gerät in Aufruhr, als zwei Vertreter einer Agentur aus Tokio imOrt ihr Glamping-Projekt vorstellen ... „Evil Does Not Exist“ folgt in langen Einstellungen dem beschei- denen Leben der Dorfbewohner und kontrastiert es mit den pro- fitgesteuerten Vorhaben städtischer Unternehmen. Der Gefahr, hier in eine romantische Kapitalismuskritik abzugleiten, ist sich La chimera Die Knasterfahrung hat ihn nicht umdenken lassen. Auch nach seiner Haft kehrt der Brite Arthur (Josh O’Connor) zu seinen Kum- panen, einer bunten Truppe von Grabräubern, in einer kleinen italienischen Stadt am Tyrrhenischen Meer zurück. Gemeinsam brechen sie in der antiken Landschaft Etruriens alte Kammern auf und suchen dort nach Schätzen. Arthurs Interesse gilt jedoch weniger den Kostbarkeiten. Sein Antrieb ist die Sehnsucht nach seiner verstorbenen Geliebten Beniamina, die er einfach nicht aus dem Kopf bekommt. Geradezu zwanghaft zieht es ihn in den Untergrund, in der Hoffnung, irgendwie eine Verbindung zum Jen- seits herzustellen. In der maroden Villa der Gräfin Flora (Isabella Rossellini), Beniaminas Mutter, lernt er eine junge Frau namens Italia (Carol Duarte) kennen, die ihn vielleicht davor bewahren könnte, sich in einem Hirngespinst – der titelgebenden Chimäre – zu verlieren. Nach „Land der Wunder“ (2014) und „Glücklich wie Lazzaro“ (2018) beschließt die italienische Regisseurin Alice Rohrwacher mit „La chimera“ eine lose verbundene Trilogie über ihre toskanische Hei- mat, das Leben in der Provinz und die Anziehungskraft der Ver- gangenheit. Klassisches Erzählkino mit einer konsequent vor- wärtsdrängenden Handlung hat die Autorenfilmerin dabei nicht imSinn. Die zwischen unterschiedlichen Bildformaten wechseln- de Tragikomödie entwirft vielmehr ein demmagischen Realismus verbundenes Stimmungsmosaik. Was echt und was imaginiert ist, lässt sich in einigen Szenen nicht sofort sagen. Handfester Weltschmerz steht dem eindringlich verkörperten Protagonisten ins Gesicht geschrieben, und ein Hauch des Todes scheint ihn von Anfang an zu umwehen. Worauf es Rohrwacher auch ankommt: ein Gefühl für das unstete Leben ihrer Figuren, der Gauner und Außenseiter, zu vermitteln. Immer wieder drückt sie regelrecht auf die Stopptaste und lässt dem skurrilen Ensemble Raum, sich singend, tanzend, manchmal direkt in die Kamera sprechend zu präsentieren. Ein wahrlich ungewöhnlicher Film! (cd) AB 11. APRIL IT/F/CH 2023; 130 Min.; R: Alice Rohrwacher; D: Josh O‘Connor, Carol Duarte, Vincenzo Nemolato ★★★★★ der Film bewusst. Hamaguchi gewährt Einblick in die Charaktere der beiden Städter (Ayaka Shibutani, Ryuji Kosaka), die ihre Über- zeugung vom Glamping-Projekt spätestens auf der Infoveran- staltung in Mitzubiki verloren haben. Der anfängliche Antagonis- mus wird aufgeweicht, das fortan gezeigte Interesse der beiden Städter am Ort und dessen Bewohnern oszilliert raffiniert zwi- schen aufrichtigem Engagement und peinlicher Anbiederung, die zunehmend groteske Züge annimmt. Immer wieder durchstoßen zudem Jagdschüsse die klirrende Kälte des winterlichen Ortes und so entsteht – untermalt von Eiko Ishibashis großartiger Mu- sik – bald die unheilvolle Vorahnung, dass die Geschichte in Mi- zubiki kein gutes Ende nehmen wird. Ryūsuke Hamaguchi arbeitet in „Evil Does Not Exist“ im Kleinen die zerbrechliche Balance von Mensch und Natur heraus, und entlässt den Zuschauer nach seinem denkwürdigen Finale mit einer nebligen, naturgewaltigen Totale aufgewühlt in den Abend. (rk) AB 18. APRIL JAP 2023; 106 Min.; R: Ryūsuke Hamaguchi; D: Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa, Ayaka Shibutani ★★★★★ FILM 26 G u t e s R a d i o f ü r G u t e L e u d e w w w . a h o y r a d i o . d e H ö r t u n s j e t z t a u c h a u f DAB+ Unsere Möglich macher:

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