hamburg:pur April 2024

Foto: Mathias Lippstreu THEATER Wie ist deine Liebe zum Theater entstanden? Wann hast du dich entschlossen, Schauspie- lerin zu werden? Ich bin in der Schweiz aufgewachsen, direkt an der deutschen Grenze, und meine Mutter ist oft mit uns ins Theater gegangen. Ich hatte in der Grundschule auch sehr theaterbegeis- terte Lehrerinnen. Später habe ich in einem Kinder- und Jugendtheater gespielt. Das Ein- steigen in diese fantastischen Welten hat mich total abgeholt. Ab der 8. oder 9. Klasse wuss- te ich dann: Ich will zum Theater. Hast du dich dann gleich an Schauspielschu- len beworben? Nein, nach dem Abi, das ich in Deutschland gemacht habe, habe ich ein Jahr lang Praktika an verschiedenen Theatern im Bereich Regie und Dramaturgie gemacht, weil ich in der Zeit noch sehr unsicher war und mir nicht vorstel- len konnte, auf die Bühne zu gehen. Erst dann habe ich festgestellt, dass ich unbedingt spie- len möchte und mich an Schauspielschulen beworben. Parallel zu deiner Ausbildung wurdest du Mit- glied im freien, interdisziplinären Theater- kollektiv Framori in Jena ... Wir haben drei größere Stücke zusammen ge- macht: „Einer flog über das Kuckucksnest“, „Farm der Tiere“ und „Draußen vor der Tür“. Ich mag es sehr, wenn man – wie in dieser Gruppe – am ganzen Entstehungsprozess beteiligt ist und sich bei der Konzeption mit einbringen kann. Dabei habe ich extrem viel gelernt über die Theaterwelt, das Schauspiel und den riesengroßen Apparat, der so eine Produktion trägt. Ist diese Tür zum freien Theater mit demEin- stieg ins Thalia-Ensemble jetzt für dich zu- geschlagen? Das möchte ich auf jeden Fall weitermachen. Aber jetzt werde ich mich auf das Spiel hier konzentrieren, ummöglichst viel zu lernen. Die Zeit ist ja auch erst mal auf eineinhalb Jahre begrenzt, weil dann die Intendanz von Joachim Lux endet. Du hast im letzten Jahr auch eine Rolle am Berliner Ensemble übernommen und in „Clockwork Orange“ mitgespielt. Wie kam dieses Engagement zustande? Das war eine Koproduktion mit meiner Schau- spielschule. Im dritten Studienjahr gehen die Student:innen immer an ein oder mehrere Theater. So bin ich am Berliner Ensemble ge- landet. Es ist eine tolle Erfahrung, ein Stück so oft zu spielen – bis jetzt knapp 40 Mal. Da habe ich gelernt, wie man sich den Abend frisch hält und mit seiner Energie haushaltet. Jede Aufführung verläuft anders? Ja, die Figuren entwickeln sich weiter, und ich entdecke immer neue Sachen. Das gilt auch für die Gruppe insgesamt. Durch die vielen Auf- führungen fühle ich mich entspannter, ruhiger und erlaube mir, auf der Bühne mehr durchzu- atmen. Pendelst du noch zwischen Berlin und Ham- burg, oder bist du schon ganz in Hamburg angekommen? Ich pendele noch relativ viel zwischen beiden Städten. Ein Großteil meines Lebens spielt sich immer noch in Berlin ab. Momentan probt ihr gerade mit Lorenz Nol- ting an dessen Stück „Faust Gretchen Frak- tur“ sehr frei nach Goethe. Magst du dazu schon etwas verraten? Die Geschichte rund um Faust wird aus Gret- chens Perspektive erzählt. Vor allem der groß angelegte Teil, in dem Faust in der Walpurgis- nacht mit Mephisto unterwegs ist. Da passiert parallel ja unfassbar viel mit Gretchen. Sie kriegt ihr Kind, bringt es um, landet imGefäng- nis und so weiter. Das wird bei Goethe nur in ganz wenigen Sätzen abgehandelt. Bei uns sitzt Gretchen schon im Kerker und erzählt rück- blickend, was ihr alles widerfahren ist und was es für einen Deal zwischen Faust und Mephisto gibt. Du spielst das Gretchen? Wir sind fünf Gretchen, erzählen gemeinsam diese Geschichte und werden dann vermutlich auch in die anderen Rollen hineinschlüpfen. Wir probieren aber noch vieles aus. Gerade entsteht wieder eine neue Textfassung. Bei Goethe ist Gretchens innerer Konflikt re- ligiös motiviert und resultiert daraus, dass Frauen, die uneheliche Kinder bekommen haben, in der damaligen Zeit gesellschaftlich geächtet wurden. Das ist heute nicht mehr so. Wenn man versucht, den Stoff in die Gegenwart zu übertragen, stellt sich die Frage: Warum ermordet Gretchen ihr Neu- geborenes? Der Deal zwischen Faust und Mephisto, Gret- chen zu verführen, läuft auf einen Missbrauch hinaus. Den „schönen Augenblick“, in dem Faust „verweilen“ möchte, setzt er mit dem Sexualakt gleich. Dem Sex mit einer Minderjährigen … Genau. Gretchen hingegen verliebt sich in ihn, gibt sich ihm ganz hin und alles für ihn auf. Aus diesem Missbrauch entsteht dann ein Kind. Wie geht man damit um? Wie wird einem geglaubt als Opfer? Das sind extrem aktuelle Themen. Wie gut sollte man als Zuschauer einer Stück- überschreibung das kennen, was überschrie- ben wird? Das hängt immer davon ab, wie gut die Vor-­ lage in eine neue Geschichte eingebettet ist. Durch heutige Assoziationen und Bilder ver- steht man womöglich die Essenz der Geschich- te viel besser, als wenn man die alten Verse liest. So bekommt man einen neuen Zugang zu diesem Stoff. Wer vom Teufel spricht, sollte ihn nicht auch noch an die Wand malen. Trotzdem: Was machst du, wenn du nach dem Wechsel der Intendanz am Thalia Theater nicht übernom- men wirst? Ich habe jetzt noch keine konkreten Pläne, aber einige Ideen im Kopf. Momentan bin ich erst mal sehr glücklich und dankbar für die Chance, dass ich am Thalia Theater in die Berufswelt einsteigen darf. Ich genieße die Zeit, nehme alles mit, was geht, und bin offen für alles, was dann kommt und kommen mag. Interview: Sören Ingwersen 1., 24. APRIL und weitere Termine, „Wolf unter Wölfen“; 26. APRIL (URAUF- FÜHRUNG), 28. APRIL und weitere Termine, „Faust Gretchen Fraktur“; Thalia Theater Arbeitet auch als Sprecherin für Dokumentarfilme und Hörspiele: Anna Maria Köllner 18 THEATER Ich bin deinMensch Algorithmus der Liebe Heute noch Fiktion, aber in einer gar nicht fernen Zukunft viel- leicht alltäglich: Frau bestellt sich aus einem reichhaltigen An- gebot einen humanoiden Roboter-Mann, der auf ihre individuel- len Wünsche programmiert ist. DiesemSelbstversuch setzt sich Wissenschaftlerin Alma aus, die immun gegen standardisierte Klischees wie Kerzenschein und stimmungsvolle Musik ist. Im Auftrag einer Studie soll sie zu Testzwecken drei Wochen mit dem Prototyp „Tom“ zusammenleben. Zunächst ergibt sich kein per- fektes Match, doch nach ein paar Korrekturen am Algorithmus kann Tom nachgebessert werden – und die Skeptikerin schließlich überzeugen. Aber was entsteht zwischen ihr und dem KI-Kerl: Liebe? Eine Notlösung gegen Einsamkeit? Esther Hattenbach, Psychologin und Regisseurin, setzt die Sci-Fi-Komödie als Uraufführung an den Kammer- spielen in Szene. (def) 21. APRIL (URAUFFÜHRUNG), 25.–28. APRIL UND WEITERE TERMINE; Kammerspiele Foto: Kevin Berne Foto: Lena Meyer Lizard Boy Indie-Rock- Musical mit menschlicher Eidechse Es ist nicht leicht, grün zu sein. Damit meint ein junger Mann keine poli- tische Haltung, sondern: Es ist schwer, mit einer Eidechsen-Haut zu le- ben. Grüne Schuppen bildeten sich bei ihm nach einem Unfall in der Kindheit. Seither traut er sich nur nach draußen, wenn andere sich (auch) verkleiden. Bei einer solchen Gelegenheit lernt er endlich einen Freund, später eine durchaus bedrohliche junge Frau kennen. Sie will ihn glau- ben machen, dass seine Schuppenhaut ihm übernatürliche Kräfte ver- leiht. Natürlich glaubt er ihr nicht. Doch schon bald könnte er eine Art Super-Power gebrauchen, um seinen neuen Freund vor bedrohlichen Drachen zu schützen …AmOff-Broadway und auf demEdinburgh Fes- tival begeisterte das abenteuerliche Fantasy-Musical von Justin Huer- tas, von dem Story, Text und Musik stammen – und der sich im Original in den „Lizard Boy“ (Eidechsen-Jungen) verwandelte. In Hamburg über- nimmt Paul Glaser die Regie. (def) 22.–24. APRIL (VORAUFFÜHRUNGEN), 26. APRIL (PREMIERE), 27., 30. APRIL und weitere Termine; English Theatre DE SCHIMMELRIEDER NACH DER NOVELLE VON THEODOR STORM OP PLATTDÜÜTSCH & HOCHDEUTSCH 16.3. – 24.4.2024 Foto: Sinje Hasheider

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