hamburg:pur April 2023

Foto: Christian Schulz/Schramm Film Foto: Walker+Worm Film GmbH & Co. KG/ Bernd Spauke FILM Roter Himmel Es waren Fieberträume, die Christian Petzold zu seinem neuen Film gebracht haben. Vier Wochen lag er mit Covid flach und vor seinem inneren Auge flimmerten sonnendurchflutete Lichtungen und nächt- licher Wald. Und nachdem er in der Türkei ein Waldbrandgebiet be- sucht hatte, wo keine Blätter mehr rauschten und kein Vogel mehr sang, kam die Todesstille dazu. Das erzählte der Regisseur im Februar auf der Berlinale, wo sein Drama den Großen Preis der Jury gewann. Für einen Sommernachtstraum, den sein Kameramann Hans Fromm in Bilder goss, als würde der Rest der Welt gar nicht mehr existieren. Und eigentlich auch keine Zeit mehr, ganz so wie in den einstigen Filmen von Eric Rohmer und vielleicht auch Claude Sautet. Nur, dass hier junge Leute in einer Datsche an der Ostsee um- einander kreisen. Schnell wird klar, dass der hadernde Schrift- steller Leon (Thomas Schubert) sich in die Eisverkäuferin Nadja (Paula Beer) verguckt hat. Die allerdings bekommt nächtliche Besuche von dem Rettungs- schwimmer Devid, der wiede- rum Felix näherkommt. Küche und Betten werden geteilt, im- Sisi & Ich „Es war in ihrer Gegenwart, als habe jemand alles Licht der Welt auf einen gerichtet“, sagt Irma Gräfin von Sztáray irgendwann über ihre Chefin, Herrin, Gebieterin und Angebetete, die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Doch diese Kaiserin ist es auch, die das Licht ein- und ausschaltet, immer wieder, unvorhersehbar, launenhaft. Irma sonnt sich in dem Licht und fröstelt in dem Schatten. Mit „Sisi & Ich“ erzählt die deutsche Regisseurin und Drehbuchauto- rin Frauke Finsterwalder den Mythos Sisi neu. Bereits im vergangenen Jahr hatte Marie Kreutzer mit „Corsage“ einen feministischen Ansatz präsentiert, RTL+ und Netflix jeweils eine Serie auf den Markt gewor- fen. Nun also Finsterwalder, die das Drehbuch mit ihremMann Chris- tian Kracht schrieb. Und auch ihre Interpretation verströmt den Geist der Gegenwart, lässt Epochen verwischen, Konventionen verschwim- men. Finsterwalder erzählt aus der Sicht jener Hofdame Irma (Sandra Hül- ler). Die Gräfin ist eine tollpatschige, alte (42 Jahre!) Jungfer. Der Job als Hofdame scheint ihre letzte Chance, ein würdevolles Leben zu füh- ren. Für den wird sie wie Vieh begutachtet und für tauglich befunden. Also reist Irma nach Korfu, wo die Kaiserin (Susanne Wolff) fernab der Konventionen und des Kaisers mit ihren non-binären Zofen ein eigen- williges Leben führt. Erst muss Irma ihre Sportlichkeit beweisen, dann wird sie auf die Kokain-Diät der Kaiserin gesetzt, ihre k.u.k.-Garderobe ist da schon in Flammen aufgegangen. Zwischen der ängstlichen, töl- pelhaften Irma und der küh-hedonistischen Sisi entwickelt sich eine enge, erotische Beziehung – allerdings stets nach Sisis Gnaden. Hüller gibt dieser Irma einen jugendlichen Übereifer, ein fast schmerz- liches Gefallenwollen und damit eine tiefe Verletzlichkeit. Wolffs Sisi verströmt grandios blasierte, selbstgefällige Ernsthaftigkeit. Umwer- fende Kostüme voller schlichter Eleganz (Tanja Hausner), ein Sound- track moderner Songs von Portishead und Nico lassen die Geschichte von Epochen losgelöst rauschhaft vorbeiziehen – bis zum Ende der Kaiserin. Auch das eine Neuinterpretation. (bs) AB 30. MÄRZ D/CH/AT 2023; 132 Min.; R: Frauke Finsterwalder; D: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Stefan Kurt ★★★★★ mer wieder geht es an den Strand und abends gibt es Lasagne und Rotwein. Auch der zweite Teil von Petzolds neuer Trilogie, die 2020 mit „Undi- ne“ begann, kreist um die Romantik und um die Macht der Fantasie. Während Leon mit seinem zweiten Roman hadert, arbeitet Felix an seiner Mappe für die Kunstschule, es geht ums Schreiben, darum, was man mit Bildern sagen kann. Ganz Petzold-like wird große Literatur zitiert und wehen Mythen durch die Luft – und gleichzeitig erzählt Pet- zold dabei gegen jede Erwartung an. Denn als die Waldbrände immer näher rücken und es statt Sternschnuppen plötzlich Asche regnet, ist man ganz im Jetzt, inmitten des Klimawandels und den Realitäten einer Generation, die gleich auf mehrfache Weise ums Überleben kämpft. Und so klingt am Ende nicht nur Wallners wunderschön hypnotischer Song „In my Mind“ noch lange nach, sondern auch die Melancholie über ein Ende der Sorglosigkeit. (sd) AB 20. APRIL D 2023; 103 Min.; R: Christian Petzold; D: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel ★★★★★ 24 Unsere Möglich macher: w w w . a h o y r a d i o . d e Gutes Radio für Gute Leude M e d i e n p a r t n e r Ladet unsere App! 25

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