hamburg:pur April 2023
Foto: Pandora Film/Row Pictures FILM DRAMA Archaisches Begehren Mit „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ bringt Regisseurin Emily Atef („Mehr denn je“) eine ergreifende, vielschichtige Liebesgeschichte zum Thema Begierde ins Kino Thüringen 1990, der erste Sommer nach dem Fall der Mauer, flirrende Hitze. Trotz ländlicher Idylle ist jene ungewohnte Spannung zwischen Zusammenbruch und Neuanfang überall spür- bar: Begeisterung, Angst, Hoffnung, Resigna- tion. Die bald 19-jährige Maria (Marlene Burow) lebt mit ihrem Freund Johannes (Cedric Eich) auf demBauernhof seiner Eltern, schwänzt die Schule, liest stattdessen untermDach Dosto- jewskis „Die Brüder Karamasow“, manchmal hilft sie auf dem Feld. Dann begegnet ihr Henner (grandios: Felix Kra- mer), mehr als doppelt so alt wie sie, sein Ge- höft wirkt vernachlässigt, düster. Im Dorf gilt er als aggressiver, verschlossener Einzelgän- ger, aber auch als Frauenheld. Er trinkt, die Vergangenheit hat ihre Narben hinterlassen, ihn geprägt. Maria ist neugierig, will Grenzen austesten. Blicke treffen sich, eine zufällige Berührung ist Auslöser einer heimlichen Amour fou von unglaublicher Intensität, fast Gewalt. Die beiden versuchen sich gegen das alles überwältigende animalische Begehren zu weh- ren, flüchten voreinander. Vergeblich. Henner hatte Maria gewarnt, doch sie fürchtet nicht seine dunklen Seiten. Aus purer archaischer Begierde entwickelt sich Liebe, trifft die Ak- teure unvorbereitet. Schmerz und Verlorenheit verbindet das un- gleiche Paar, Literatur scheint unentbehrlicher Bestandteil ihres Daseins. „Irgendwann wer- den wir uns alles erzählen“ ist eine gelungene Adaption des gleichnamigen Bestsellerromans von Daniela Krien. Regisseurin Emily Atef („3 Tage in Quiberon“) schrieb das Drehbuch zusammen mit der Autorin. Das Präzise, Mini- malistisch-Karge der Vorlage wird übersetzt in betörende Bilder mit starkem Gelbfilter. Wundervoll, wie Atef die Gesten und Blicke choreografiert, raue Umarmungen, die Unter- werfung und Auflehnung signalisieren. Nie fehlt es den Protagonisten an Respekt füreinander. Das Schweigen, die Stille zwischen den Wor- ten sind eindrucksvolle Momente in dieser zum Scheitern verurteilten Beziehung überdimen- sionaler Gefühle. Text: Anna Grillet AB 13. APRIL D 2023; 132 Min.; R: Emily Atef; D: Marlene Burow, Felix Kramer, Cedric Eich ★★★★★ hamburg:pur Aktion! Für die Preview des Films „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ am 10.4., 20 Uhr in den Zeise Kinos verlosen wir 10 x 2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur: irgendwann werden wir“ an verlosung@szene-hamburg.com ; Einsendeschluss: 8.4. 22 23 ISBN978-3-946677-85-7 SPEZIALNR.3 2023 |€9,00 Hamburgs Pläne für die Zukunft NacHHaltigkeit RAUS INDIENATUR Das sinddiebesten AusflugszieleHamburgs GESUND&FAIR Restaurants,Biohöfe, Gemüsefarmenundmehr AGENDA2030 Soweit istdieStadtbei den17Nachhaltigkeitszielen 4 193318 609006 SPEZIALNR.3 SZENEHAMBURG NACHHALTIGKEIT2023 €9,00 001_Cover_Nachhaltigkeit_23 1 09.03.2023 19:16:46 Jetzt NEU Im Handel oder online über shop.szene.hamburg.com Nachhaltigkeit_2023_93x128.indd 2 23.03.23 15:12 Kulturlaub mit der MIT DER NDR KULTUR KARTE ZU ERMÄßIGTEN PREISEN KULTUR IN NORDDEUTSCHLAND ERLEBEN. Mehr erfahren unter ndrkulturkarte.de Foto: Bandenfilm FILM The Ordinaries Wer kennt es nicht, das Gefühl, im eigenen Leben mal die Hauptrolle, mal eine Nebenrolle zu spielen und dann wieder nur Sta- tist zu sein? Oder schlim- mer noch: ein Outtake, herausgeschnitten aus der Haupterzählung? Diesen Gedanken macht sich Regisseurin Sophie Lin- nenbaum in ihrem Film „The Ordinaries“ zu eigen und exerziert diesen fil- misch auf kreative Weise. Gezeigt wird die cineastische Parallelwelt von Paula (Fine Sendel), in der die Menschen hierarchisch in Hauptfiguren, Nebenfiguren und die verachteten Out- takes aufgeteilt sind. Paula steht vor der wichtigsten Prüfung ihres Lebens: Sie muss im Institut beweisen, dass sie das Zeug zur Hauptfigur hat – und somit das Recht auf ein privilegiertes Leben. Hat sie eine ko- härente Storyline? Kann sie ihre Gefühle filmisch und musikalisch in Szene setzen und in die Fußstapfen ihres Vaters treten, der, den Aussagen ihrer Mutter (Jule Böwe) zufolge, ebenfalls eine Hauptrolle spielte? Paula zeigt schon bald Schwächen, die zumindest Zweifel daran säen. Durch ihre Nachforschungen zur Vergangenheit ihres Vaters begegnet sie den ver- achteten, unterdrückten Outtakes, Menschen mit Filmfehlern, am Rande der Gesellschaft und stößt auf manche überraschende Informationen, die ihre eigene Existenz in Frage stellen. Die Idee, die „The Ordinaries“ zugrunde liegt, ist für jeden Filmliebhaber zugegebenermaßen delikat, zu- mal vielen Cineasten die Gattung Film ohnehin als Kunstform erscheint, die die Essenz des Lebens am stärksten ausdrückt. Warum also nicht eine Parabel auf das Leben, die diesen Gedanken durchspielt? Sophie Linnenbaum geht in ihrem ersten Kinospiel- film, der auf einem ihrer Kurzfilme basiert, mit viel Humor an die Sache heran und lässt so manche Einfälle charmant einfließen, ohne die Story selbst zu vernachlässigen. Das Ergebnis ist eine originelle Gesellschaftskritik mit fantasievollen, satirischen Elementen und einigen Reminiszenzen an die Film- geschichte. Wenn es an etwas fehlt, dann an Emo- tionen – auch wenn eine ganze Musical-Einlage im Film diese minutenlang feiert. Es scheint derzeit ein Trend der Filmemacher zu sein, sich in die Metaebene zu flüchten. Aber vielleicht ist der abstrakte Blick der übersichtlichste, um Kritik an einer Gesellschaft zu äußern, die sich mit einem scheinbar fertigen Dreh- buch zufrieden gibt. (mag) AB 30. MÄRZ D 2022; 120 Min.; R: Sophie Linnen- baum; D: Fine Sendel, Jule Böwe, Sira-Anna Faal ★★★★★
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