hamburg:pur April 2023

Foto: Sinje Hasheider THEATER solche Bearbeitungen kritisch sehe, ist der Stoff sehr spannend und betrifft mich persön- lich mit meinen Migrationswurzeln. Außerdem wurde „Dat Frollein Wunner“ von mir in der letz- ten Spielzeit amOhnsorg uraufgeführt und wird jetzt wieder aufgenommen. Die nächste Spiel- zeit eröffnet dann das Alte Schauspielhaus Stuttgart mit diesem Stück. Das Schreiben läuft also ganz gut. Aber der Traum eines je- den Autors ist natürlich der Roman. Der liegt in meiner Schublade und wartet darauf, end- lich beendet zu werden. Dabei habe ich gar keine großen Vorbilder: Ich möchte so etwas schreiben wie Herman Melvilles „Moby-Dick“ (lacht) . Gibt es da irgendwelche Anknüpfungspunkte zu Ihrer Theaterarbeit? Der Roman handelt von Dingen, die mich be- schäftigen, mit denen ich aber eigentlich gar nichts zu tun habe. Es ist die Geschichte eines Eisbären, der aus den Hungergebieten der Ark- tis nach Kanada wandert und sich dann plötz- lich zwischen Braunbären wiederfindet. Ich war noch nie in meinem Leben in dieser Gegend, aber es macht wahnsinnig Spaß, in diese Rich- tung zu recherchieren. Dadurch, dass ich als Theatermensch zumStoff Distanz nehmen und ihn opulent gestalten kann, kann der Leser ihn visuell viel besser erfassen und davon berührt werden. Sie sprachen von Ihrem Migrationshinter- grund. Seit fünf Spielzeiten sind Sie Ober- spielleiter des Ohnsorg-Theaters und seit Sommer 2023 künstlerischer Leiter des Gro- ßen Hauses an einer Bühne, die für das klas- sische deutsche Volkstheater steht. Spielen Ihre türkischen Wurzeln eine Rolle für Ihre Theaterarbeit? Reiben Sie sich manchmal an den Stoffen? Bis vor zwanzig Jahren gab es Reibungen im Vorfeld von Produktionen, da fielen dann schon mal Sätze wie „Kann der Türke das über- haupt?“. Das Problemwar also eher das Durch- setzen und das Zutrauen in die eigene Person bei der administrativen Arbeit. Während der künstlerischen Arbeit gibt es dann keine Rei- bungen mehr, da läuft alles sehr harmonisch, weil ich es südländisch-entspannt angehe. Leicht war es aber nicht, dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Es hat zwar eine gesellschaft- liche Entwicklung gegeben, aber Diskriminie- rung gibt es immer noch. Genau deshalb bin ich Künstler geworden. Ich dachte, wenn ich die Sprache eines Volkes beherrsche und des- sen klassischen Autoren kenne – Goethe, Schiller, Lessing –, dann gehöre ich dazu und werde von allen geliebt. Später habe ich fest- gestellt, das ist Quatsch, weil die meisten Deut- schen ja selbst Lessing gar nicht gelesen ha- ben und man dann eher als arrogant dasteht. Wie groß ist ihr Einfluss auf die Programm- gestaltung des Ohnsorg-Theaters? Ich schlage einen Spielplan vor, an dem Inten- dant Michael Lang und ich uns dann orientie- ren. Er muss dabei eher geschäftsmäßig den- ken, und ich kann das Enfant terrible sein – obwohl ich der Ältere bin. Aber letztendlich gibt es immer eine gute Einigung zwischen uns. Was sehen Sie als Ihre größte Herausforde- rung am Ohnsorg-Theater an? Die größte Herausforderung ist, dass viele Menschen beim Ohnsorg-Theater noch an Heidi Kabel, Henry Vahl und die alten Fernseh- ausstrahlungen in Schwarz-Weiß denken. Des- halb werde ich „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer …“ auch in Schwarz-Weiß inszenieren. Nur die Leiche ist bunt. Unsere Herausforderung besteht darin, neue Zuschau- ergruppen für das Theater zu gewinnen, ohne die Älteren zu vergrellen. Das ist ein sehr schwerer Job, da die Zahl der Zuschauer, die ein rein plattdeutsches Theater verstehen, ab- nimmt. Deshalb müssen wir bilingual arbeiten. „Dat Füerschipp“ nach Siegfried Lenz, das ich gerade inszeniert habe, hat einen Hoch- deutsch-Anteil von mindestens 50 Prozent. In der Beschreibung des aktuellen Stücks fühlt man sich an klassische Whodunit- Konstellationen im Stil von Agatha Christie erinnert. Können Sie kurz etwas zum Inhalt sagen? In einer kleinen Pension ist eine Frau gestor- ben. Sie kommt wieder zu sich und bewegt sich als Geist in einer Zwischenwelt, umgeben von ihrem Ehemann, der Schwiegermutter, der die Pension gehört, einer Installateurin, einem Frauenpärchen, das zu den Stammgästen zählt, und es gibt eine vermeintlich schwan- gere Geliebte des Ehemanns. Außerdem gibt es ein Medium, das versucht, mit dem Geist Kontakt aufzunehmen. Nach einer Weile wird klar, dass jeder einen Grund gehabt hat, diese Frau umzubringen. Das Opfer beginnt zu recherchieren. Dann taucht ein sehr merkwür- diger Polizist aus dem Schneegestöber auf. Er teilt der Gesellschaft mit, dass ein Serien- mörder aus dem Irrenhaus ausgebrochen ist. Wird der Schreibwettbewerb fortgeführt? Wir wollen ihn alle zwei Jahre durchführen. Vielleicht werden die Stücke dann noch etwas abgespaceter. Mal schauen, was da auf uns zukommt. Interview: Sören Ingwersen 16. APRIL (PREMIERE), 18., 20.–23., 25.–30. APRIL UND WEITERE TERMINE; Ohnsorg-Theater 18 Foto: Armin Smailovic THEATER König Lear Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Als der Tag seiner Abdankung gekommen war, ließ er sich von der bei Hofe etablierten allgemeinen Verlogenheit so sehr blenden, dass er falsche Zuneigungsbekundun­ gen nicht mehr von ehrlicher Aufrichtigkeit unterschei­ den konnte. Und so trifft er fatale Entscheidungen: Sein Königreich teilt er unter jenen beiden Töchtern auf, die ihn mit Schmeicheleien umwerben, seine Lieb­ lingstochter hingegen, die jüngste, enterbt und ver­ stößt er. Mehr noch: Wer Partei für die Verstoßene er­ greift, wird ebenfalls verbannt. Das berühmte Shakes­ peare-Drama „König Lear“ erzählt von einem alten weißen Mann, der zum Spielball geschickter Intrigen wird, obwohl er Rechtschaffenheit anstrebt. Regisseur Jan Bosse hat auf den wichtigen deutschsprachigen Bühnen bewiesen, dass er ein Experte für den berühm­ ten britischen Autor ist. (def) 2. APRIL (PREMIERE), 4., 5., 15., 23. APRIL; Thalia Theater TheWho and theWhat USA im 21. Jahrhundert. Dort ist der pakistanische, muslimische Patriarch indes noch nicht angekommen: Seine Töchter müssen in der richtigen Reihenfolge ver­ heiratet werden – die Erstgeborene vor der Jüngeren; und alle Heiratskandidaten haben eine Prüfung ihrer Glaubensfestigkeit vor dem potenziellen Schwieger­ vater zu bestehen. Da sich die ältere Tochter mehr für ihre schriftstellerische Laufbahn als für einen Ehe­ mann interessiert, gibt der Vater ohne ihr Wissen eine Kontaktanzeige über muslimlove.com auf. Tatsächlich findet sich ein Konvertit, alles scheint nach den Wün­ schen des Familienoberhaupts zu laufen. Doch dann entdeckt er das Manuskript seiner Tochter: In ihrem Buch „The Who and the What“ stellt sie kritische Fra­ gen zur Rolle der Frau in der Gesellschaft. Das erlaubt sich auch das kluge gleichnamige Drama von Autor Ayad Akhtar, Pulitzer-Preisträger und US-amerikani­ scher Autor mit pakistanischen Wurzeln. (def) 6. APRIL (PREMIERE) BIS 3. JUNI; English Theatre reservix.de dein ticketportal Tickets unter reservix.de Hotline 0761 888499 99 Alle Angaben ohne Gewähr Bundesweit 90.000 Events! 07.06.23 Nochtwache, Hamburg Le Tigre 17.06.23 Markthalle Hamburg Rose City Band 28.05.23 Hebebühne Hamburg Samuel Finzi 03.05.23 HEYMANN Eimsbüttel Hamburg 06.10.23 Kampnagel Hamburg 29.04. – 07.05.23 First Stage, Hamburg 19

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz