hamburg:pur april 2022

Foto: Lilia Ketler TAG+NACHT HAMBURG HILFT GEFLÜCHTETEN „Krieg in der Ukraine ist schon vor acht Jahren ausgebrochen“ Lilia Ketler ist Vor- standsvorsitzende von Feine Ukraine, Verein der deutsch- ukrainischen Zusam- menarbeit e.V. Feine Ukraine hat zusam- men mit anderen gemeinnützigen Vereinen und ehren- amtlichen Aktivisten den „Ukrainischen Hilfsstab“ gegründet. Lilia Ketler koordiniert im Hilfsstab die Aufnahme von Geflüchteten wichtigste Infrastruktur bombardiert. Aber es waren noch keine weiteren Kämpfe wie in Kiew. Ich habe da noch meine Oma, meine Tante mit ihrer Familie und ein paar Cousinen. Ich habe Angst, dass durch diesen Krieg meine ganze Familie ausgelöscht wird. Dann habe ich keine mehr. Aber gestern habe ich erfahren, dass ein Teil meiner Familie wie durch ein Wunder einen Platz in einem Zug bekom- men hat. Das sind sechs Leute und ich hoffe, dass die morgen nach Hamburg kommen. Das ist meine Tante, zwei Cousinen und meine drei Neffen. Die Männer bleiben in der Ukraine? Ja klar, die Männer bleiben in der Ukraine und kämpfen. Die älteren Menschen konnten nicht mitfahren. Da ist meine Oma, die ist 94. Die hat sehr viele schwierige Situationen über- lebt, ist jetzt mit ihrem Sohn geblieben. Das ist meine größte Sorge: Was ist mit meiner Oma. Während des Zweiten Weltkriegs war sie noch ein Kind und lebte in einemBesatzungsgebiet der Deutschen in der Ukraine. Und jetzt muss sie als alte Frau das wieder erleben: Okkupan- ten kommen und besetzen ihr Land. Sie ver- steht das nicht. Sie fragt: „Was ist jetzt los? Wie lange wird das dauern? Was soll ich jetzt machen?“ Da fehlen mir die Worte. Da muss ich sagen: „Oma, das weiß ich jetzt auch nicht.“ Aber ich habe versprochen, dass ich sie raus- hole, wenn die Russen mit der Bombardierung aufhören. Ich habe gesagt, „Oma, wir feiern deinen hundertsten Geburtstag hier in Ham- burg, ich hole dich raus (stockt) , und unsere ganze Familie ist wieder vereint“. Das ist mein größter Wunsch. Es sind hauptsächliche Frauen und Kinder unterwegs. Das ist sehr gefährlich. Gestern ist eine Fami- lie angekommen. Nachbarn aus unserer Stadt, zwei Frauen mit drei Kindern. Die waren fünf Tage unterwegs. Sie mussten oft umsteigen mit Bus, Bahn, die Fahrt endete plötzlich in einer kleinen Stadt, wo es dunkel war. Dann wussten nicht mehr, wohin. Sie haben mit den kleinen Kindern am Bahnhof am Boden ge- schlafen. Haben immer versucht, sich imArm zu halten, weil die Kinder sehr verängstigt wa- ren. Sie mussten dann ihre Taschen zurück- lassen, um die Kinder tragen zu können. Als ich sie abgeholt habe, waren sie so kaputt, dass sie nicht mehr reden konnten. Viele der Geflüchteten sind traumatisiert. An wen können sie sich wenden? Wir haben in unserem Hilfsstab Psychologen, die Ukrainisch und Russisch sprechen. Die Stadt kümmert sich auch um die traumatisier- ten Menschen. Das Wichtigste ist aber erst mal, dass sie Ansprechpartner haben, die Ukrainisch sprechen. Dass sie mit jemand reden können. Dann sind sie erst mal beruhigt. im Hotel gesessen und hätten geweint. Wir haben einen Rückflug über Amsterdam nach Hamburg organisiert und uns um ihre Familien gekümmert. Wenn diese in Sicherheit sind, gehen die Männer zurück in die Ukraine, um zu kämpfen. Sind sie verreist, weil sie nicht geglaubt haben, dass ein Krieg ausbricht? Krieg in der Ukraine ist schon vor acht Jahren ausgebrochen. Nur in Europa wurde das im- mer Krise genannt. In Donezk und Lugansk im Donbass war schon Krieg. Die Ukrainer leben seit acht Jahren in diesem Zustand, haben aber versucht, trotzdem ein normales Leben zu füh- ren. Weiterarbeiten, weiter um die Familie küm- mern, weiter Urlaub machen. Diese Leute ver- reisen, und plötzlich haben sie kein Haus mehr, keine Heimat, wissen nicht mehr wohin. Haben Sie selbst Familie oder Freunde in der Ukraine? Ja, eine kleine Familie. Die lebt im Südosten an der Grenze zu Donezk. Die Kämpfe sind 50 Kilometer entfernt. In meiner Stadt wurden am ersten Kriegstag der Flughafen und die Frau Ketler, wie sieht Ihr Tag aus? Lilia Ketler: Mein Tag dauert momentan 20 Stunden. Die Leute rufen mich morgens schon an, bevor sie nach Hamburg kommen. Der „Uk- rainische Hilfsstab“ ist der erste Ansprech- partner. Wir sprechen Ukrainisch und leben schon lange in Deutschland. Wir arbeiten aktiv mit den Behörden zusammen, bekommen Informationen aus erster Hand. Wir stehen in Kontakt mit der Erstaufnahmestelle, mit ver- schiedenen Hilfsorganisationen. Die Menschen wollen wissen: Wo sollen wir uns melden? Wo bekommen wir Unterkunft? Wo etwas anzu- ziehen? Wie geht’s unseren Familien? Jetzt kommt die große Welle von überall. Mit dem Flugzeug kommen sie meistens aus demAus- land. Zum Beispiel, wenn sie Urlaub gemacht haben. „Aus demUrlaub“ klingt nach einemAlbtraum. Ja, ich habe gestern um 22.30 Uhr einen Anruf bekommen. Drei Männer wollten ein paar Tage Urlaub in Mexiko machen. Als sie dort ange- kommen sind, haben sie die Nachricht bekom- men: Es ist Krieg in der Ukraine, sie dürfen nicht zurück. Sie haben gesagt, sie wären nur Illustrationen: Tanja Deutschländer 4 TAG+NACHT Putin hat Präsident Selenskyj als Nazi beschimpft. Selenskyj ist bekanntlich Jude mit drei Holocaust-Opfern in der Familie. Propaganda oder hat Putin den Verstand verloren? Beides. Das war eine Propaganda, die jahre- lang von den Russen finanziert wurde. Und mittlerweile hat er das so oft wiederholt, dass er selbst dran glaubt. Das ist einfach krank. Der hat sich im Kreml abgeschirmt von der Welt und den Verstand verloren. Putin und seine ganze Regierung gehören vor ein Tribunal. In der gleichen Rede hat er der Ukraine die Eigenständigkeit abgesprochen, behauptet, erst Lenin hätte sie geschaffen. Was bedeu- tet es für Sie, Ukrainerin zu sein? Das ist nicht erst jetzt passiert. Russland hat schon nach der Revolution versucht, die Ge- schichte auf eigene Regie umzugestalten. Und das immer wieder. Die Russen können glauben, dass Lenin oder jemand anders die Ukraine geschaffen hat. Die Ukraine war schon ein selbstständiges Land, lange bevor Moskau ge- gründet wurde. Wir Ukrainer sind sehr stolz auf unsere Geschichte. Was Putin erzählt, sind alles Märchen. Wie ist das Verhältnis zwischen der russischen und ukrainischen Community in Hamburg? Wir streiten nicht. Wir unterstützen uns. Aber man muss unterscheiden zwischen den Men- schen, die aus Russland ausgewandert sind und sich integriert haben in Deutschland. Die haben europäische Werte und Gesetze akzeptiert. Und dem Teil, der Putin alles glaubt und denkt, er wäre ein guter Präsident. Ich verstehe nicht, was die hier in Deutschland machen. Es gibt viele Sammlungen für die Ukraine. Was brauchen dieMenschen besonders dringend? Es gibt eine riesige Unterstützung von überall. Die Menschen in Hamburg haben eine Menge Unterstützung geleistet. Die haben enormes Mitgefühl gezeigt. Ehrenamtliche haben Unter- künfte zur Verfügung gestellt, es kamen Sach- spenden, Geldspenden. Ich bin sehr dankbar und stolz, dass ich in Hamburg lebe. Das kann man nur betonen, wie schnell die Leute hier auf solche tragischen Ereignisse reagieren. Viele Ukrainer brauchen Hilfe und wissen nicht, wie lange sie bleiben müssen. Vielleicht kön- nen sich die Menschen überlegen, ob sie eine Patenschaft für eine Familie übernehmen. In der Form, dass sie diese Familie in Hamburg begleiten. Bei Behördengängen, in der Schule, auf der Suche nach einer Unterkunft. Das ist so eine Idee von uns: Jede Familie hat eine Person, bei der sie weiß, dass sie mit jeder Frage hingehen kann und Unterstützung und Rat bekommt. Interview: Markus Gölzer hilfe-ua.de TICKETS: \ KJ.DE \ TICKETS KJ.DE STADTPARKOPENAIR.DE stadtparkopenair KARSTEN JAHNKE KONZERTDIREKTION GMBH GEFÖRDERTVON VERANSTALTER MEDIENPARTNER . . LOTTO KING KARL . . EDITORS . . EROBIQUES GROSSE GARTENPARTY . . NIEDECKENS BAP . . BEATSTEAKS . . LÜTT IMPARK . . THE NATIONAL . . GIANNA NANNINI . . KALEO . . WOLF HAAS . . THEWAR ON DRUGS . . MELISSA ETHERIDGE . . JESSIE J . . JOE JACKSON . . THE GIPSY KINGS . . MAXMUTZKE UND BAND . . TOTO . . HERBIE HANCOCK&BAND . . OMD . . FAT FREDDYS DROP . . BEST OF STAND UP SLAM . . DIE GROSSE COMEDY GALA . . BEST OF POETRY SLAM . . . HELGE SCHNEIDER . . RUSS . . HUBERT VON GOISERN . . . DEINE FREUNDE MÜLL EINE LESUNG MIT Eine Veranstaltung von Semmel Concerts Eine Veranstaltung von FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH STADTPARK OPENAIR ‹Œ‹ DIGGING FOR NUTS SINCE  5

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz