hamburg:pur april 2022

THEATER 18 Das Hamburger Publikum hat mit „La Gaz- zetta“, „Adina“ und „La Cenerentola“ bisher vor allem deine komische Seite kennenge- lernt. Was erwartet uns bei Goethes Fortset- zung der „Zauberflöte“? Auch dort gibt es mit Papageno, Papagena und ihren Vogelkindern humorvolle Stellen. Sie bil- den aber nur einen Kontrast zum komplexen Inhalt, den wir natürlich erst einmal erzählen wollen, weil die Zuschauer das Stück ja nicht kennen. Deshalb bleiben wir in der Form eher traditionell und wollen nichts modern verfrem- den. Knüpft Goethe direkt an die Handlung von Mozarts Singspiel an? In Mozarts „Zauberflöte“ gibt es einen großen Krieg zwischen Licht und Dunkel. Der zweite Teil von Goethe ist eher ein Stück des Sturm und Drang. Die Konflikte finden hier in der Fa- milie, zwischen den Paaren statt. Dabei hat das Stück eine eher melancholische Farbe und ist nicht so episch angelegt wie der erste Teil. Es stellt die Frage: Was passiert mit Helden zehn Jahre nach ihrer Heldentat? Der mäch- tige Sarastro verlässt zumBeispiel seinen Tem- pel und sammelt auf einer Pilgerreise Kräuter. Auf diese überraschende Weise findet Goethe einen ganz neuen Weg zur Rolle. Wir werden auf der Bühne beide Welten und ihre Bezie- hungen zeigen: die kosmische, abstrakte Welt mit ihren großen Kräften und die irdische Welt der Menschen. Eine sehr merkwürdige Erfindung in diesem Text ist der Sohn von Pamina und Tamino. Er wird in einem Sarg gefangen gehalten, der ständig bewegt werden muss, damit das Kind nicht stirbt. Wie lässt sich dieses Bild deuten? Es ist ein Kind, ein Genius, ein Wesen – das lässt sich nicht genau sagen. Ich glaube, diese Figur soll die Vernunft und die Erkenntnis verkörpern. Der Mensch muss sich ständig bewegen, um Neues zu erforschen und sich zu entwickeln. Tut er das nicht, wird er sterben. Das ist ein Bild der Aufklärung mit einemWech- sel vomAberglauben zur Wissenschaft. Bei uns ist der Sarg eine Kugel und darin schlägt ein Herz. Wir verwenden viele metaphorische Bilder und Projektionen auf der Bühne. Es gibt sehr viel Sekundärliteratur zu Goethes Textfragment. Da werden Bezüge hergestellt zum ersten Teil der „Zauberflöte“, zu Goethes „Faust“ und seinen freimaureri- schen Vorstellungen. Wie sehr beschäftigst du dich mit diesen Texten? Man kann viel reden und schreiben, aber letzt- endlich geht es doch immer um den Menschen und seinen Umgang mit sich selbst oder sei- nem Partner. Natürlich hilft die Lektüre, aber auf der Bühne möchte ich klar und einfach blei- ben. Ein intellektueller Zugang muss auch die Ebene der Gefühle mit einschließen, um die Menschen zu bewegen. Goethes Text wurde vor über 200 Jahren ge- schrieben. Warum wird er erst jetzt urauf- geführt? Goethe selbst hat das Stück nicht auf die Büh- ne gebracht, weil er wohl keinen passenden Komponisten gefunden hat. Außerdem ist das Stück sehr komplex, es steckt voller Ideen und Metaphorik. Barbara Hass hat in ihrer Bearbei- tung des Fragments kleine dramaturgische Änderungen vorgenommen, ohne den drama- tischen Rhythmus zu verändern. Die zentrale Aussage des Stückes war damals wie heute höchst aktuell. Das unbeschwerte und reine Handeln der Kinder – des Genius sowie der Kinder von Papagena und Papageno – ohne Zauberinstrumente und ohne Rache oder Ge- walt ist die Lösung zur Rettung der Mensch- heit und letztendlich des eigenen Ichs. Wir haben uns vorgenommen dies auf der Bühne umzusetzen. Ihr habt Goethes Text für die Uraufführung mit Musik von unbekannteren Konzert- und Opernarien Mozarts unterlegt? Marius Adam, der Intendant des Allee Thea- ters, und Ettore Prandi, unser musikalischer Leiter, haben diese umfangreiche Arbeit ge- leistet. Sie haben die musikalischen Werke aus- gesucht und mit Goethes Text versehen. Aber natürlich gibt es auch gesprochene Dialoge. Goethes Text und Mozarts Musik: eine wun- derbare Symbiose, die genial funktioniert. Interview: Sören Ingwersen 22. APRIL (Uraufführung), 23., 24., 29., 30.4. und weitere Termine, Allee Theater Foto: Jonas Radtke DAT FROLLEIN WUNNER KOMÖDIE VON MURAT YEGINER // URAUFFÜHRUNG AUF PLATT- & HOCHDEUTSCH // 24.4. – 11.6.2022 Foto: Sinje Hasheider Die Jagdgesellschaft Ein General und Stalingrad-Veteran nennt ein schmuckes Jagdhaus in einem üppigen Wald sein Eigen. Was er nicht weiß: Der Wald wird längst vom Borkenkäfer zerfressen, er selbst vom Krebs. Doch beides hält seine Gattin vor ihm geheim, und so lädt er seine Gefolgschaft ein wei- teres Mal zur Jagd – nicht ahnend, dass es die letzte wird. Zaungast ist ein Freund des Hauses, Autor von Beruf: Mit dieser Figur schrieb sich Thomas Bernhard in sein eigenes Drama hinein, als stil- ler Beobachter, der in dieser Jagdgesellschaft ein Fremd- körper bleibt. Inszenieren wird das tiefgründige Stück Herbert Fritsch, ausgewiesener Spe- zialist für Slapstick und grell überzeichnete Karikatur, der Komik gern bis zur Groteske hochschraubt. Autor und Re- gisseur eint die Vorliebe, Machtmenschen der Lächer- lichkeit preiszugeben. (def) 2. APRIL (PREMIERE), 9., 15., 23. APRIL und weitere Termine; Schauspielhaus Der Ball Das inklusive Theater- kollektiv „Meine Da- men und Herren“ lädt ein zu einem Theater- abend rund um Be- freiung und Neuan- fang. Im selbst konzi- pierten und entwickel- ten Stück des Ensem- bles müssen sich die Darsteller aus einer Partyfalle befreien. Sie sind gefangen in virtuellen oder realen Räumen, können ihr jeweiliges Schicksal annehmen oder versuchen auszubrechen. Das kann aber nur mithilfe von außen ge- lingen. Erst wenn alle befreit sind, kann der eigentliche Ball beginnen – und damit die 50 Neuanfänge. „Meine Damen und Herren“ ist eine Gruppe von professionellen Schau- spielerinnen und Schauspielern mit sogenannter geistiger Behinde- rung. In den letzten Jahren ebneten sie den Weg zum selbstbestimm- ten Arbeiten ohne wechselnde Gastregisseure. Das neue Stück „Der Ball“ bietet der Gruppe die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten weiterzuent- wickeln und als Kollektiv an den Herausforderungen dieses „Neuan- fangs“ zu wachsen. (as) 27. APRIL (URAUFFÜHRUNG), 28.–30. APRIL; Kampnagel (K1) THEATER Foto: Matthias Horn Collage: Meine Damen und Herren

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