April 2019

36 THEATER KAMMERSPIELE Sewan Latchinian ist nicht nur neuer künstlerischer Leiter an den Kammerspielen, er zieht auch die Strippen bei der nächsten Premiere „Nein zum Geld“ Herr Latchinian, ab September übernehmen Sie die künstlerische Leitung der Kammerspiele, ste- hen jetzt schon in „Die Nervensäge“ auf der Büh- ne und führen bei „Nein zum Geld!“ Regie. Wie läuft die Eingewöhnungszeit bis jetzt?  Sewan Latchinian: Sehr angenehm und produktiv. Dieser sanfte Einstieg ist für mich, und hoffent- lich auch für die Kolleginnen und Kollegen von den Kammerspielen, die ideale Annäherungsform. Als Schauspieler kann ich mich mit meinen Nöten, Ängsten, Unsicherheiten, aber natürlich auch mit meinem Potential auf dieser Bühne vorstellen. Es ist schön, das Theater in dieser ursprünglichen Form kennenzulernen. Und als Regisseur habe ich die Chance, Abteilungen, wie die Requisite, Mas- ke oder das Licht in der direkten Zusammenarbeit kennenzulernen, und nicht von meinem Schreib- tisch im dritten Stock aus. Insofern bin ich sehr zufrieden, wie sich alles fügt und weiterentwickelt. Sie waren zuvor hauptsächlich als Intendant tätig, zuletzt am Rostocker Volkstheater. Wel- che Chancen sehen Sie mit der hier zum ersten Mal besetzten Position? Ich war Intendant eines Vierspartenhauses, und das in einer kulturpolitisch schwierigen Situation. Da ging es hauptsächlich darum, das Unterneh- men unter einem großen Spardruck abzusichern und die Sparten zu erhalten. Ein großer Teil meiner Kraft ist eher in die ganzen kultur- und kommu- nalpolitischen Kämpfe geflossen. Deshalb freue ich mich umso mehr, in ein Theater mit einstei- gen zu dürfen, das nicht in Frage gestellt, sondern geliebt wird. So kann ich mich auf die Kunst kon- zentrieren. Ein gewaltiger Unterschied zu meiner vorherigen Arbeit.  In „Nein zum Geld!“ lehnt der Durchschnittsbür- ger Richard einen dicken Lottogewinn ab. Warum? Sie sagten Richard ist ein Durchschnittsbürger. Das stimmt in gewisser Weise auch, er hat ein durchschnittliches Einkommen, eine Frau, ein Kind. Aber er ist kein durchschnittlicher Mensch. Inwiefern? Er stellt sich Fragen, die sich viele von uns vielleicht auch stellen, aber nicht so radikal wie er. Wie kön- nen wir das Meer von Plastik befreien? Was ist mit Glyphosat oder Feinstaub? Diese Themen streifen uns im Alltag immer wieder, aber wir sind doch zu erfolgreiche Verdränger. Und Richard ist das eben nicht, das macht ihn überdurchschnittlich. Er hat für sich entschieden, endlich mit gewissen einge- fahrenen Verhaltensweisen zu brechen. Und lehnt eben mal 163 Millionen Euro ab … Genau. Aber wie er das kommuniziert, wie er da- mit auch seine Familie und sein restliches Umfeld bevormundet, das ist eine andere Frage. Da ist er kein Demokrat mehr, sondern schon fast ein Dik- tator. Er glaubt, er hat die richtige Entscheidung getroffen, und lässt sich auch nicht von seiner Fa- milie und seinem besten Freund abbringen, die sehr verständnislos reagieren. Und lehnt eben mal 163 Millionen Euro ab … Genau. Aber wie er das kommuniziert, wie er da- mit auch seine Familie und sein restliches Umfeld bevormundet, das ist eine andere Frage. Da ist er kein Demokrat mehr, sondern schon fast ein Dik- tator. Er glaubt, er hat die richtige Entscheidung getroffen, und lässt sich auch nicht von seiner Fa- milie und seinem besten Freund abbringen, die sehr verständnislos reagieren. Bezieht die Inszenierung Stellung? Ja und nein. Ich wollte versuchen, alle Argumente auf die Bühne zu bringen. Ein gutes Drama zeich- net sich auch dadurch aus, dass alle Figuren Recht haben. Das Stück wirft auch noch weitaus allgemei- nere Fragen auf. Ist unser durchaus angenehmer demokratischer Kapitalismus wirklich schon das Ende der Geschichte, oder wird es vielleicht eine Zeit geben, in der es kein Geld mehr gibt? In der sich Menschen über ihre eigentlichen Werte de- finieren? Und weil ich diese Fragen nicht beant- worten kann und will, stelle ich, mit der Autorin, sie eben dem Publikum. Wie würden Sie denn entscheiden, wenn Sie im Lotto gewinnen würden? Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, ich würde das Geld erstmal nehmen, und dann versuchen, es so breit wie möglich zu verteilen. Aber wer weiß schon, welchen Situationen ich mit einem solchen Reichtum begegnen würde und was das Geld mit mir macht. Die meisten Lottogewinner sind am Ende schließlich unglücklicher, als zuvor. Interview: Sophia Herzog AB 28. APRIL Kammerspiele Nein, danke. 163 Millionen Euro?

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz