April 2019

FILM 33 „An der Schwelle zur Ewigkeit“, so lautet nicht nur der Untertitel zu Julian Schnabels neuem Film. Es ist auch der deutsche Titel des letzten Bildes, das Vincent van Gogh zwei Monate vor seinem Tod malte. Es zeigt einen alten Mann in blauer Arbeitskleidung, auf einem Stuhl neben dem Kaminfeuer zusammengesunken, das Ge- sicht in den Händen vergraben. Ein Gestus der Hoffnungslosigkeit, der sich in den meisten Sze- nen des Films in Bild und Ton widerspiegelt. Bis heute verkörpert kein Künstler den Mythos des verkannten, wahnsinnigen Genies so sehr wie Vincent van Gogh. Julian Schnabel zeichnet in „Van Gogh“ seine letzten Lebenswochen nach Vincent, Verstörend VAN GOGH Schon zu Beginn, wenn wir Vincent mit seiner Staffelei durch ein endloses Feld mit verdorrten Sonnenblumen gehen sehen. Nach einer lan- gen Wanderung legt er sich auf den Boden und lässt Erde auf sein Gesicht fallen – unheilvolle Vorboten dessen, von dem wir wissen, dass es geschehen wird. Doch zunächst richtet sich Vincent auf, wischt sich die Erde aus dem Ge- sicht und lacht, überwältigt von der Schönheit des Lichts. Es ist ein beängstigendes Lachen und eine Szene, die die Essenz dessen enthält, was zu dem berühmten abgeschnittenen Ohr führte. Zum frühen Tod (van Gogh starb mit 37 Jahren) allerdings nur indirekt, so legt es jeden- falls Schnabels Interpretation nahe, die sich an einer neueren These der US-amerikanischen Forscher Gregory White Smith und Steven Nai- feh dazu orientiert: Sie säen Zweifel, dass der Künstler wirklich Selbstmord verübte. Der Mensch hinter dem Mythos und van Goghs letz- te Lebenswochen sind primäres Studienobjekt Schnabels, selbst Maler und einer der Haupt- vertreter des Neoexpressionismus. Der Schleier der Verklärung, den wir etwa aus Vincente Minnellis Verfilmung (1956) mit Kirk Douglas in der Hauptrolle kennen, wird in Schnabels Film gelüftet. Mit nuancierter Mimik und hoher physischer Präsenz verleiht Willem Dafoe dem ikonischen Dualismus von Genie und Wahnsinn lebendige Konturen. Seine bei den Filmfestspielen von Venedig prämierte, für den Oscar nominierte Darstellung macht die Freu- den und Qualen sichtbar, die den kranken Maler in seinen letzten Lebenswochen immer weiter durch die Wiesen und Felder trieben, um die Schönheit und den Schrecken der Welt für die Ewigkeit zu bannen. Das eigentlich Besondere an Julian Schnabels Film ist, dass er uns Vincent aus zwei Perspek- tiven betrachten lässt: von außen und von innen. Natürlich zeigt er auch das zu Lebzeiten ver- kannte Genie, umringt von Kritikern und Ket- zern. Die Außenbetrachtung gewährt uns aber auch Einblicke in die durchaus zwiespältige Per- sönlichkeit des Vincent van Gogh. Bis heute ist die Forschung sich nicht darüber einig, worunter der Wegbereiter der modernen Kunst genau litt: Depressionen, Epilepsie, Schizophrenie, bipolare Störung und Syphilis wurden über die Jahre un- ter anderem in die diffusen Symptome hineinin- terpretiert. Julian Schnabel sieht in seinem Film dankenswerter Weise von einer Diagnose ab, versetzt uns aber durch die Innensicht direkt in den Kopf des Künstlers hinein. Blicken wir aus seinen Augen in die Welt, se- hen wir einen tobenden Sturm aus Farben und fiebrigen Bildern, kaum auszuhalten in ihrer blendenden Intensität. Schnabel findet die per- fekt austarierte Bildsprache, um die visionäre Wahrnehmung eines sich auflösenden Geistes im Endstadium zu zeigen. Mit der mobilen Ka- mera und in teils verschwommenen Bildern ge- lingt es Benoît Delhomme („Die Entdeckung der Unendlichkeit“), ebenfalls selbst Maler, diesen Zustand in verstörender Unmittelbarkeit abzu- bilden und mitfühlen zu lassen. Eine äußerst beunruhigende Erfahrung. Und große Kunst. Karin Jirsak AB 18. APRIL GB/ FRA/ GER 2018; 110 Min.;   R: Julian Schnabel; D: Willem Dafoe, Rupert   Friend, Oscar Isaac hamburg: pur Aktion! hamburg:pur Aktion! Für eine Preview am 15.4., 20 Uhr, im Abaton Kino verlosen wir 5x2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur:vangogh“ an verlosung@ vkfmi.de ; Einsendeschluss: 12.4.

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