hamburg:pur März 2024
Foto: Therese Walter THEATER Künstler und Techniker in einer Person: Thomas Zürn bei einer nächtlichen Flussfahrt auf den Schat- ten des Gottes Pan, der auf der Flöte spielt. Die Musik ist eine Besonderheit in euren Pro- duktionen … Für die letzten sechs Inszenierungen wurde sie von Christine K. Brückner komponiert. Wenn wir mit Live-Musik aufführen, spielt sie Akkor- deon im Trio mit Geigerin Dorothea Geiger und Querflötistin Mareike Beinert. Mit diesem En- semble bin ich wirklich sehr glücklich. Ihr spielt aber nicht nur klassische Kinder- stoffe … Das Kinderstück „Eine Reise in die kleine Welt“ habe ich selbst geschrieben. Außerdem spiele ich ein Szenenprogramm ohne Worte und ab 9. März auch das Stück „Danse Antigrav – Über das Marionettentheater“ für Erwachsene. Das findet an zwei Wochenenden im kleinen Kreis – für etwas 15 Zuschauer – statt. Es ist eine Annäherung an den philosophischen Auf- satz von Heinrich von Kleist mit Workshop- Charakter: Dabei wollen wir uns nicht nur über den Verstand dem Text nähern, sondern das Ganze auch mit der Marionette ausprobieren. Kleist behauptet, die perfekte Anmut und Grazie, wie wir sie uns von einem Tänzer wün- schen, könne nur die Marionette erreichen, weil sie kein Bewusstsein hat. Der Spieler müsse sich nur mit seiner Seele in ihren Schwerpunkt versetzen und alle übrigen Glie- der folgen der Bewegung in vollkommener Harmonie von allein. Taugt diese Beschrei- bung tatsächlich für die Praxis des Mario- nettenspiels? Wenn ich das Boot mit der Ratte bewege, ohne die Figur selbst zu bespielen, scheint sie allein durch mechanische Gesetzmäßigkeiten – durch die Art der Verbindungen der einzelnen Glieder – lebendig zu werden. Noch bevor ich mein Bewusstsein in die Figur hineinlege, ist die Bewegung – wenn man Kleist hier folgen will – schon harmonisch und eigentlich per- fekt. Aber das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn es einen guten Mechaniker gibt, der die Marionette baut, und einen Künstler, der sie führt. Dadurch, dass der Marionettenspieler sein Bewusstsein in die Figur gibt, und diese es als Mediumweiter nach außen leitet, lässt sich der Effekt des In-sich-Perfekten noch steigern. Inwiefern spielen Kleists Gedanken schon beim Bau der Marionette eine Rolle? Am Spielkreuz gibt es zum Beispiel eine me- chanische Kopplung von Kopf und Händen. Die lässt sich einstellen. Wenn ich dann den Kopf drehe, bewegt sich im harmonischen Maß die Hand automatisch mit. Hier habe ich den kleistschen Gedanken übernommen, dass eine harmonische Bewegung beim Spiel ganz von selbst entsteht. Und wie entstand die Idee, aus Kleists Text ein Stück zu machen? Ich habe das Stück eigentlich für die Erika Klütz Schule für Theatertanz und Tanzpädagogik entwickelt. Dort arbeite ich einmal im Jahr mit den Schülerinnen. Ich zeige ihnen, wie Mario- netten funktionieren und gehe dann in den Tanz der Figur, auf den die Tänzerin mit ihren Bewegungen einwirkt. So entstehen tolle Bil- der und Geschichten, die sich der Betrachter im Kopf selbst zusammenbaut. Ursprünglich war das Marionettentheater ja eine eher simple Formder Jahrmarktsunter- haltung für Menschen, die sich das Theater nicht leisten konnten. War Kleist seiner Zeit voraus? Schon zu Kleists Zeit wurde die Spielform des künstlerischen Marionettentheaters recht populär. In München eröffnete 1858 das erste stationäre Marionettentheater. Mit Entstehung des Films Ende des Jahrhunderts – besonders des Trickfilms – wurde es dann zur Rand- erscheinung. Spürst du, dass die Sehgewohnheiten der Kinder sich in den letzten zehn, zwanzig Jah- ren geändert haben? Nein. Die Sehgewohnheiten von Kindern – ich empfehle „Wind in den Weiden“ ab fünf Jahren – sind noch nicht voll ausgeprägt. Sie sind ebenso offen für die schnellen Schnitte aus dem Fernsehen wie für das langsame, plasti- sche, lebendige Spiel bei uns. Wesentlich ist das Illusionsangebot. Wie wirdman eigentlich Marionettenspieler? Ich habe in München Holzbildhauer gelernt und danach selbstständig in der Restauration ge- arbeitet. Im Alter von 26 Jahren entstand der Wunsch, meine künstlerische Tätigkeit zu er- weitern. Ich bewarb mich bei Gerhards Mario- nettentheater in Schwäbisch-Hall, wo ich dann sieben Jahre lang als Holzbildhauer angestellt war – das war mein Einstieg ins neue Milieu. Im Jahr 2000 habe ich mich dann selbststän- dig gemacht. Warum? Im Gerhard Marionettentheater wurde – wie an vielen anderen Marionettenbühnen auch – mit vorproduziertem Tonband gespielt. Da- durch ist man als Spieler viel unfreier. Das war für mich der Hauptgrund zu gehen. Ich ver- misste die Einheit von Spielen und Sprechen, die für mich sehr viel lebendiger ist. Bis Mitte März spielt ihr noch im Jenisch Haus. Im Juli und August dann wieder im Theaterzelt im Botanischen Garten in Klein Flottbek … … und dazwischen im Mai auf der Kulturelle Landpartie imWendland. Wir werden „Wind in den Weiden“ in diesem Jahr rund hundert Mal aufführen. Und in drei Jahren winkt die nächste Neu- produktion? Dies ist mein elftes Programm. Es kann sein, dass ich es erst mal dabei belasse und mich noch in andere Richtungen entwickle, wobei das Figurentheater im Zentrum meines Inte resses bleibt. Wir haben jetzt fünf große Pro- gramme für die Guckkastenbühne gebaut – da platzt irgendwann auch das Lager für die Büh- nenbauten. Dieses Stück bekomme ich gerade noch unter. Danach wird es kompliziert. Interview: Sören Ingwersen 2., 3. MÄRZ Wind in den Weiden; 9., 10., 16., 17. MÄRZ Danse Antigrav – Über das Marionettentheater; Jenisch Haus 18 Foto: Franziska Strauss Marie-Antoinette Revolution mit hohem Spaßfaktor Was wäre aus König Ludwig VXI. und seiner Gattin Ma- rie-Antoinette geworden, hätte die Französische Revo- lution sie verschont? Diese Frage trieb Peter Jordan und Leonhard Koppelmann um, und die beiden beantworten sie mit einem höchst amüsanten Theaterstück: „Marie- Antoinette oder Kuchen für alle!“. Das Autoren- und Re- gie-Duo fantasiert dem letzten Königspaar Frankreichs noch runde zwanzig Jahre Lebenszeit (nach dem histo- risch verbürgten Tod 1793) hinzu, konfrontiert sie mit dem Emporkömmling Napoleon und weiteren widrigen Umständen – wie ein Leben ohne Dienstboten und mit warmem Champagner. Anna Thalbach strahlt als unge- liebte Königin, deren alternatives Kuchen-Angebot an das hungernde Volk nicht gut ankam – aber auch nicht sicher überliefert ist. Sicher ist: Die königlichen Karika- turen entlarven gegenwärtige politische Verhältnisse. (def) 1.–3., 6.–10., 16., 17., 20.–24., 27., 28. MÄRZ UND WEITERE TERMINE; Komödie Winterhuder Fährhaus THEATER Foto: Sinje Hasheider | Gestaltung: Spektral3000
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