hamburg:pur März 2023
Foto: Inken Rahardt gesungen und Tilman als Bühnenpartner vor- geschlagen. Die Partien sind für beide extrem anstrengend. Sie singen Hans und Grete, aber auch Teile der Eltern und der Hexe. Ich habe die Rollenverteilung komplett verändert. Welche Rollen gibt es in deiner Inszenierung außerdem? Die drei anderen Sängerinnen spielen die Pfle- gerinnen und singen Partien aller Figuren. Wenn dann eine Pflegerin mit der Arie der Mutter über die Armut der Familie klagt, kann das auch als Hinweis auf den Pflegenotstand gedeutet werden. Hat dich die Regiearbeit emotional sehr zurückgeworfen auf die letzten Jahre mit deiner Mutter, oder war die künstlerische Verarbeitung sogar ein Mittel, um Abstand zu gewinnen? Ganz wichtig: Ich erzähle auf der Bühne nicht die Geschichtemeiner Mutter. Hans und Grete entwickeln in ihrem fortgeschrittenen Alter eine Art Liebe füreinander. So etwas hat meineMut- ter nicht erlebt. Überhaupt bleiben wir mit den Details zumKrankheitsverlauf sehr an der Ober- fläche und bewegen uns in einer ästhetisch liebevollen Umgebung. Aber ich war bei dieser Inszenierung tatsächlich manchmal wie blo- ckiert. Schnelle Entscheidungen zu treffen, fiel mir schwerer als sonst. Ich hatte auch mit mir selbst zu kämpfen und Zweifel, ob ich überhaupt noch Regie führen kann. Das war schon eine besondere Erfahrung. AmEnde haben wir dann aber doch immer eine gute Szene erarbeitet. Kannst du als Regisseurin sonst das, was auf der Bühne geschieht, emotional immer von dir abtrennen? Bei „Semiramis“ fiel es mir ebenfalls schwer. Die große Frauenfeindlichkeit, die das Berufs- leben mit sich bringt und die ich dort thema- tisiere, hat mich sehr angefasst. Da gab es Szenen, bei denen ich selbst noch in den Vor- stellungen angefangen habe zu flennen, weil es mich einfach wütend macht, dass wir seit so vielen Jahrhunderten in dieser Hinsicht einfach nicht weitergekommen sind. Wie sieht die Lage amOpernloft nach Corona aus? Manche Stücke laufen schon wieder ganz gut, andere nicht. Unsere „Bohème“ mit den Influ- encer:innen, die in einem Swing-Club spielt, ist gut besucht. „La Traviata“ auch. „Tosca“ und „Der Ring des Nibelungen“ haben wir jetzt län- ger nicht gespielt, sodass die Leute beimKar- tenkauf erst mal wieder zurückhaltend sind. Man kann also nicht sagen, dass das Publikum schon wieder vollständig zurückgekehrt ist. Aber wir arbeiten daran, mit tollen Neuproduk- tionen wieder Lust auf das Theater und die Oper zu machen. Interview: Sören Ingwersen 28. FEBRUAR (PREMIERE), 3., 12., 17. MÄRZ, 16. APRIL; Opernloft bestehlen oder sogar umbringen wollen. Da wird manchmal sogar die Polizei gerufen, und es entstehen großen Familiendramen. Das spiegelt sich für mich in der Musik der Hexe, aber auch in der Angstmusik der großen Wald- szene wider, in der die Kinder sich verlaufen. Solche Situationen habe ich auch auf den Demenzstationen erlebt, wo die Erkrankten manchmal nicht in der Lage sind, ihr Zimmer wiederzufinden. Oder sie suchen dort etwas, das gar nicht da ist. Für diese Menschen ist ihre Umgebung unüberschaubar groß und die Situation, wenn sie nicht wissen, wo sie sind, psychisch extrem belastend. Das Opernloft packt sonst eher Themen an, die auf ein jüngeres Publikum abzielen, beziehungsweise arbeitet das klassische Repertoire entsprechend auf. Das spiegelt sich auch im vergleichsweise niedrigen Durchschnittsalter eurer Sängerinnen und Sänger wider. Fällt die aktuelle Produktion da nicht etwas aus dem Rahmen? Ja und nein. Natürlich versuchen wir einer- seits, die klassischen Stoffe jung rüberzubrin- gen. Trotzdem greifen wir auch Zeitthemen auf und legen gerne mal den Finger in die Wunde. Das haben wir mit „La Bohème“ getan, wo wir uns mit Influencer:innen beschäftigen, oder mit „Semiramis“, wo wir das Thema „Frau und Karriere“ aufgegriffen haben. Demenz ist eben- falls ein Thema, mit demwir alle uns befassen müssen. Die Studien sagen, dass bald schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung betroffen sein wird. Aber ich mache kein Dokumenta- tionstheater und möchte auch niemanden zwingen, über diese Krankheit nachzudenken. Dafür gibt es sehr schöne, berührende Mo- mente in diesem Stück. Die beiden Hauptdarsteller Tilman Birschel und Sylvia Bleimund hat man auf eurer Bühne noch nicht gesehen … Ich habe Sänger:innen gesucht, die etwas mehr Jahre auf dem Buckel haben. Das Opernloft ist ja eher ein Karrieresprungbrett für die Jun- gen. Tilman kenne ich schon sehr lange, wir haben aber noch nie zusammengearbeitet. Er hat ein kleines Tourneetheater in Hannover: „Oper an der Leine“. Sylvia hat bei uns neu vor- THEATER Erstmals auf der Opernloft- Bühne: Tilman Birschel und Sylvia Bleimund als „Hans und Grete“ 18 THEATER Foto: Franziska Strauss Vorhang auf für Cyrano Berühmtheit erlangte der französische Autor Edmond Rostand mit seinem 1897 uraufgeführten Versdrama über den langnasigen „Cyrano de Bergerac“. Der hatte tatsächlich im 17. Jahrhundert gelebt, übrigens auch als Schriftsteller. Völlig frei erfunden jedoch ist die Ge- schichte, was Rostand bewog, sein Bühnenstück über den Unglücklichen zu schreiben – und die wird nun in „Vorhang auf für Cyrano“ erzählt: Ein Schauspieler sucht eine anspruchsvolle Rolle, ein Autor braucht dringend finanziellen Erfolg. Dass sich eine junge Frau in den verheirateten Rostand verliebt, sorgt für allerlei Ver- wirrung, doch auch für die von ihm dringend benötigte Kreativität … Alexis Michalik schrieb diese fiktive Ent- stehungsstory, die – wie das Original auch – verfilmt wurde. Für die Komödie am Kurfürstendamm insze- nierte Christopher Tölle die rasante Hommage ans Thea- ter mit zwölf Schauspieler:innnen in 45 Rollen, die nun als Gastspiel nach Hamburg kommt. (def) 1.–5., 7.–12., 14.–19., 21.–26., 28., 29., 31. MÄRZ UND WEITERE TERMINE; Komödie Winterhuder Fährhaus DAT FÜERSCHIPP SCHAUSPIEL NACH DER ERZÄHLUNG DAS FEUERSCHIFF VON SIEGFRIED LENZ AUF HOCH- & PLATTDEUTSCH 5.3. – 13.4.2023 Foto: Sinje Hasheider
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