Hamburg Pur 03/2022
ESSEN+TRINKEN Foto: Ban Canteen AUSSENGASTRONOMIE Zugeparkt! In den letzten beiden Sommern wurden Parkbuchten zu Plätzen für die Außengastronomie auf St. Pauli. Doch dieses Jahr soll alles wie in Vor-Pandemiezeiten werden. Aber wie vorher ist es noch nicht. Eine Petition aus der Gastronomie gleicht einem Hilfeschrei. Und die Politik? Diskutiert und überlegt Sommer 2021: Die Sonne kitzelt auf der Nase, Menschen stoßen mit dem Feierabendbier an, der Duft von Pizza, Pasta und Grillgut liegt in der Luft. In den Straßen von St. Pauli ist Leben – nach monatelanger Stille. Nahezu jedes Res- taurant, jedes Café und jede Bar hat Plätze unter freiemHimmel, für ihre Gäste, die lange gefehlt haben. In Biergärten, auf Sommerter- rassen – und Gehwegen sowie Parkbuchten. Vor allem Letzteres hat viele Gastronomen, die normalerweise keinen Außenbereich haben, vor der Corona-bedingten Insolvenz gerettet – vorerst. Das war möglich, da für die vergan- genen beiden Corona-Sommer das Sonder- nutzungsrecht in Hamburg-Mitte erweitert wurde, sodass eben diese – Parkbuchten, La- deflächen und Co. – als Außenbereich zur Ver- fügung standen. Der angeschlagenen Gastro- nomie sollte damit durch die Krise geholfen werden, erklärt Oliver Sträter, der neu gewählte Fraktionsvorsitzende der SPD Hamburg-Mitte. „Die Erweiterung diente vor allem dafür, dass Gastronomen ihren Nachteil ausbügeln und Kundinnen und Kunden mit weniger Risiko draußen sitzen können.“ Diese Erweiterung ist zu Ende Oktober 2021 ausgelaufen. Für Stephanie Döring aus dem Weinladen St. Pauli ist die Nutzung der Außenflächen essen- ziell: „Nur so gibt es überhaupt eine Chance, wieder halbwegs aus der finanziellen Notlage zu kommen. Damit das gelingt, haben alle auf die weitere Sondernutzung von Parkflächen gesetzt“, erklärt sie in ihrem Instagram-Post vom 30. Januar. Auch sie hat die Petition „Wir wollen draußen sitzen – Appell Parkflächen“, die von der Stadtteilkultur St. Pauli ins Leben gerufen wurde, unterschrieben. Das Ziel: die Nutzung der Parkstreifen weiterhin zu erlau- ben. Die Petition findet Gehör, sammelte bis Mitte Februar 2022 bereits 4500 Unterschrif- ten und ist auch bis zur Politik vorgedrungen. In der Bezirksversammlung werde intensiv über dieses Thema diskutiert. Trotz der derzeitigen Beschlusslage sei eine Erweiterung der Son- dernutzung in Parkbuchten und Co. denkbar. „Wir haben noch keine abschließende Ent- scheidung getroffen“, so Sträter. „Wir überle- gen uns das noch, schauen uns die Entwick- lung der Pandemie sehr genau an und disku- tieren mit Anwohnenden und Gastwirten.“ Vor allem für die Anwohner sei die erweiterte Außengastronomie eine Belastung gewesen. „Wir haben da relativ viele Beschwerden aus den vergangenen Sommern bekommen“, er- zählt er. „Mit Hinblick auf die sinkenden Zahlen und mögliche Lockerungen müssen wir uns 6 BARES IS NIX RARES (CASH – UND EWIG RAUSCHEN DIE GELDER) KOMÖDIE VON MICHAEL COONEY // 27.2. – 23.4.2022 Foto: Sinje Hasheider ESSEN+TRINKEN sehr gut überlegen, ob wir so etwas noch mal machen wollen oder ob nicht einfach die ,Stan- dard-Außengastronomie‘ ausreichend ist. Die Ausnahme in Zeiten der Pandemie soll hier nicht zur Regel werden.“ Einige Gastronomen haben zudem die Sperrstunden bis 22 Uhr ignoriert. Trotzdem sei es dort, wo sich die Gastronomen an die Regeln halten und die Wohngegenden es anbieten, vorstellbar, Park- buchten zukünftig wieder als Außengastrono- mie zu verwenden, sagt der SPD-Fraktions- vorsitzende. Auch Stellplätze, die nicht mehr benötigt werden, könnten langfristig umge- wandelt werden. Das würde mehr Platz auf den teils engen Gehwegen auf St. Pauli schaffen. Dieser könne dann unter anderem auch für die Außengastronomie genutzt werden. Doch die Angst vor der Ansteckungsgefahr in der Gastronomie bleibt bei vielen Menschen, hindert sicherlich den ein oder anderen an dem Restaurantbesuch. Denn besonders wegen der Omikron-Welle boomt die Corona-Inzidenz An- fang 2022. Sie liegt die meiste Zeit um die 1000er-Marke. Einige Gäste darf die Gastro- nomie nach der aktuell geltenden 2G+-Regel (Stand Februar) nicht empfangen. Knapp 20 Prozent der Hamburger sind nicht vollständig geimpft (Stand 14. Februar) – potenzielleGäste. Gäste – und somit Einnahmen, die so wichtig sind für Stephanie Döring und weitere Gastro- nomen. Einen kleinen Lichtblick gibt es den- noch: Die Gebühren für das Sondernutzungs- recht entfallen weiterhin bis 2023. Und auch in diesemPandemie-Winter ist alles etwas an- ders. „Wir haben jetzt schon im Winter eine Ausnahmeregelung als Bezirksversammlung beschlossen. Die heißt: Wir lassen Sommer- terrassen im Winter zu. Eigentlich gäbe es nichts, außer ein paar Rauchertische“, so Strä- ter. Aber ist das ausreichend? So heißt es in der Petition: „Wer bis jetzt überlebt hat, ist am Ende seiner Reserven angelangt. Nach wie vor führt die Umsetzung der Corona-Schutzmaß- nahmen zu einem erheblichen Kostenmehr- aufwand bei deutlich weniger Umsatz.“ Wie be- drohlich die Lage für viele Gastronomen ist, zeigt die Auswertung der Wirtschaftsaus kunftei CRIF vom Februar 2022. Demnach er- höhte sich die Zahl der insolvenzgefährdeten Gastronomien in Hamburg um 39,9 Prozent im Vergleich zu 2020. Damit führt Hamburg diese niederschmetternde Liste gemeinsam mit Bremen (61,2 Prozent) an. „Wir bitten das Be- zirksamt, diese Entscheidung noch mal zu überdenken und in Anbetracht aller (Not-)Lage, diese Sondernutzung der Parkstreifen für Außengastronomie weiterhin zu ermöglichen. Es geht um Existenzen. Aber auch um Stadt- teilkultur, Begegnungsorte, soziale Räume – und auch um Infektionsschutz. Wir brauchen diese Orte, die eine lebendige Stadt ausma- chen dringender denn je“, appellieren die Ini- tiatoren der Petition. Dem schließt sich auch Stephanie Döring an, für sie ist die Erhaltung der gesamten Gastronomie auf St. Pauli von hoher Bedeutung: „Hier pulsiert das Leben draußen und drinnen; hier wird Freiheit, Diver- sität und Zusammenhalt nicht nur diskutiert, sondern zeigt sich vor allem im entspannten Nebeneinander auf der Straße, vor den Bars und Cafés. […] Eine Stadt, die ,Das Tor zur Welt‘ sein will, sollte sich in dieser Hinsicht auch öffnen, wie es in vielen anderen Städten selbstverständlich ist.“ Text: Johanna Zobel Zur Petition: change.org : Wir wollen draußen sitzen – Appell Parkflächen
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