März 2018
34 FILM Foto: Alamode Lucky Jeden Tag beginnt der 90-jährige Lucky mit einer Mentholzigarette zu eini- gen Yogaübungen, er kocht Kaffee, schlendert durchs Dorf, guckt Quizshows, trinkt abends zu lakonisch-philosophischen Gesprächen eine Bloody Mary in der Kneipe. Ein Schwächeanfall macht ihm eines Tages bewusst: Er ist alt und sein Leben endlich. Eine Erkenntnis, mit der er sich auseinandersetzen muss. Ganz nah geht die Kamera oft an den grummeligen Eigenbrötler he- ran, zeigt jede Furche im Gesicht, die faltige Haut, die in den Altmännerun- terhosen schlabbert. Harry Dean Stanton, der im Herbst 2017 vor der Film- premiere verstarb, hat sich mit dieser Rolle selbst noch ein Denkmal gesetzt: Er ist schlichtweg großartig. John Carroll Lynch – nicht verwandt mit seinem bekannten Namensvetter David, der aber in einer schrägen Nebenrolle sel- ber auftaucht und den der junge Regisseur häufig (und gekonnt) zitiert – hat ihm mit dieser unaufgeregten und sehr humorvollen Auseinandersetzung mit dem Tod einen fantastischen Rahmen dafür geschaffen. So schön. (mas) AB 8. MÄRZ Regie: John Carroll Lynch; USA 2017; D: Harry Dean Stanton, David Lynch, Ron Livingston ★★★★★ Thelma Ein Mann und ein kleines Mädchen streifen durch die norwegische Wildnis, irgendwo zwischen den Bäumen entdecken sie ein Reh. Während die Tochter auf den Schuss ihres Vaters wartet, zielt er plötzlich unbemerkt auf sie, bringt es dann aber nicht fertig abzu- drücken. Was für ein Prolog. Viele Jahre später zieht die nun er- wachsene Thelma (umwerfend ausdrucksstark: Eili Harboe) zum Studium nach Oslo. Zunächst findet sie sich nur schlecht zurecht und erleidet eines Tages in der Uni-Bibliothek eine Art epileptischen Anfall, der die Ärzte vor ein Rätsel stellt. Als sie in der Folgezeit endlich etwas aufblüht und ihrer Kommilitonin Anja näherkommt, beschleicht sie auf einmal das Gefühl, dass sie gefährliche Kräfte besitzen könnte. Augenscheinlich inspiriert von Stephen Kings Hor- rormär „Carrie“ entwerfen Trier und Koautor Eskil Vogt ein intelli- gentes, feministisch wie übernatürlich aufgeladenes Thriller-Dra- ma. Ein kleines Meisterwerk. (cd) AB 22. MÄRZ R: JoachimTrier; N/DK/F/SWE 2017; D: Eili Harboe, Okay Kaya, Ellen Dorrit Petersen ★★★★★ Loveless Moskau, 2012. Jeder Satz explodiert vor Gift und Verachtung, wenn Boris (Alexey Rozin) und Zhenya (Maryana Spivak) aufeinandertref- fen. Szenen einer gescheiterten Ehe im erfolgsorientierten rus- sischen Mittelstand: Geschüttelt von verzweifeltem Schluchzen lauscht der 12-jährige Boris (Alexey Rozin) heimlich dem hasser- füllten Wort-Duell der Eltern, muss mit anhören, dass er für diese beiden immer nur ein Ballast war, ein ungewolltes Kind. Für den schüchternen, verträumten Sohn, der sich hinter dem Computer verschanzt, wird kein Platz in ihrem Leben mit den neuen Partnern sein. Und dann plötzlich ist der Junge verschwunden. Die Schule bemerkt es, nicht etwa Vater oder Mutter. Meisterhaft inszeniert Andrey Zvyagintsev (“Leviathan”) die Suche nach Boris als unter- kühlt zorniges Porträt seiner Heimat. Die Protagonisten verstum- men, die spröden, tristen, aber unwiderstehlichen Bilder überneh- men. Schicht für Schicht dringt der Regisseur tiefer ein in die menschlichen und historischen Abgründe. (sc) AB 15. MÄRZ R: Andrey Zvyagintsev; RUS/F/BEL/D 2017 D: Maryana Spyvak, Alexey Rozin, Matvey Novikov. ★★★★★ Jane Manche Menschen sind fast zu perfekt. Jane Goodall zum Beispiel. 1960 vom Paläoanthropologen Louis Leakey zur Beobachtung von Schimpansen in den afrikanischen Nationalpark Gombe geschickt, revolutionierte sie mit ihren Beobachtungen die Wissenschaft. Obwohl sie als einfache Sekretärin nie studiert hatte. Eine traumhafte Story. Und so kommt nach Jane’s Journey (2010) erneut eine Doku über die berühmteste Verhaltensforscherin und Um- weltaktivstin ins Kino: „Jane“. Sogar auf den Shortlist für den Oscar platziert, hinterlässt Brett Morgans Film gleichwohl einen zwiespältigen Eindruck. Lehrreich ist er, doch von allem ist zu viel da. Das bislang unveröffentlichte 16mm-Bildmaterial aus den Archiven des National Geographic zeigt Gombe fast ausnahmslos als idyllisches Paradies. Goodall macht so gut wie immer alles richtig. Dunkle Seiten Fehlanzeige. Am nervigsten: die penetrant ans Großartige gemahnende, in Dauerschleife dahindudelnde Filmmusik von Philip Glass. Weniger Heldinnenverehrung wäre mehr gewesen. (misch) AB 8. MÄRZ R: Brett Morgan; USA 2017; Preview am 4.3., Abaton Kino, 11 Uhr ★★★ ★★ Foto: Koch Films Foto: Alpenrepublik
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