März 2018

33 Foto: 2017 PROKINO Filmverleih GmbH FILM Die sechsjährige Moonee (grandios: Brooklynn Prince) lebt mit ihrer Mutter Halley (Bria Vinaite) im Magic Castle, einer lavendelfarbenen, trost- losen Motelanlage an der Peripherie von Orlando. Hier suchen Wohnungslose Zuflucht, die ob der extrem hohen Mieten auf dem Immobilienmarkt keine Chance mehr haben. Was für andere End- station Sehnsucht bedeutet, erscheint Moonee als schillerndes exotisches Märchenreich voller Aben- teuer, das es jeden Tag neu zu entdecken oder inszenieren gilt. Sie ist die geborene Anführerin, durchstreift gemeinsam mit den Freunden jeden Winkel des Geländes zwischen Highway und ver- wildertem sumpfigen Hinterland. Einen Baum liebt sie besonders, weil er umgestürzt ist und trotz- dem tapfer weiterwächst. Ihre unerschöpfliche Kreativität an Streichen oder Schwindeleien hat etwas Beängstigendes. Offensichtlich sind Regeln dafür gemacht, gebrochen zu werden, und das tun die Kleinen mit Genuss, ob beim Spuck-Bombar- dement auf Windschutzscheiben oder wenn sie ein verlassenes Gebäude in Brand setzen. Nur das Dröhnen der Helikopter erinnert an Dis- neys nah gelegenen Vergnügungspark “Magic Kingdom” und dessen florierenden Touristikin- dustrie. Jene Welt bleibt unerreichbar für die Kids des Prekariats und doch winken sie fröhlich den Piloten zu. Noch ignorieren sie die Armut um sich herum, quietschen, lachen, sind immer in Bewegung, übermütig, frech, ausgelassen. Das eigenwillige Sozialdrama mit seinen bon- bonfarbenen Sonnenuntergängen und architek- tonischen Absurditäten ist eine bezaubernde Hommage an Hal Roachs Filmserie “Die Kleinen Strolche” (ab 1922). US-Regisseur Sean Baker erzählt die Geschichte jenes Sommers aus der Perspektive seiner altklugen Protagonistin, hautnah, herzzerreißend und gnadenlos unsen- timental, ähnlich authentisch wie vorher “Tan- gerine L.A.”, aber nicht wie damals mit dem iPhone gedreht, sondern in wundervollen Breit- wand-Landschaften. Pop verité nennt Baker, ein Meister der Impro- visation, seinen hyperstilisierten Realismus. Die 22-jährige ruppige Halley mit ihren unzähligen Rosen-Tattoos, den blau gefärbten Haaren und einer Vorliebe für Trash-TV hat Moonee zu ihrem Ebenbild erzogen, egoistisch und skrupellos, mehr Komplizin als Tochter. Die Sozialhilfe reicht nicht für die 38 Dollar pro Übernachtung, und so verhökert die arbeitslose Stripperin zusammen mit der Sechsjährigen dubiose Parfüms vor den Hotels. Als die üblichen Gaunereien nicht genug einbringen, verkauft sie sich selbst, ein tra- gisches Ende also vorprogrammiert. Auch wenn sie nicht den moralischen Maßstä- ben ihrer Nachbarinnen entspricht, ist Halley trotzdem auf eine seltsame, schräge Art eine großartige Mutter, die ihre Tochter aufrichtig liebt. Motel-Manager Bobby (hervorragend Willem Dafoe) gibt sich barsch, ist aber unend- lich geduldig, er versucht die beiden zu beschüt- zen. Vergeblich. Sarah Castell AB 15. MÄRZ R: Sean Baker; USA 2017; D: Brooklynn Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe. ★★★★★ Sean Baker zeichnet ein herzzerreißendes, bezauberndes und gnadenlos unsentimentales Porträt einer kleinen Rebellin im sozialen Abseits von Disneyland hamburg: pur Aktion! Für eine exklusive Preview (OmU) am 13. März, 20 Uhr, im Abaton Kino verlosen wir 40x2 Karten. E-Mail mit Betreff „pur:florida“ an pur-verlosung@vkfmi.de Einsendeschluss: 11.3. THE FLORIDA PROJECT VERGEBLICH.

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