hamburg:pur Februar 2025
Grafik: Altonaer Theater THEATER diese Bilder live manipuliert werden können. Letztlich geht in privaten Beziehungen bis hin zu öffentlichen Prozessen also nichts ohne Vertrauen. Teilweise hat die Gegenwart Eggers’ Science-Fiction-Vision tatsächlich überholt. Aber es bleiben die sozialen Probleme, die er beschreibt. Wie gehen wir mit den technologi- schen Möglichkeiten um, und was bedeutet das für unser Zusammenleben? Dabei ist der grundsätzliche philosophische Wert der Pri- vatsphäre meistens viel schwerer zu erklären als der Nutzen, den uns die Technologie brin- gen könnte. Die Hauptfigur Mae Holland ist eine junge Uni-Absolventin, die von „The Circle“ ange- stellt wird und schon bald zum wichtigsten Gesicht des Konzerns avanciert. Sie trägt eine Miniaturkamera an ihremKörper, die al- les, was sie selbst sieht, hört und sagt als Videostream ins Netz sendet. Warum lässt Mae sich auf diesen Handel eine? Man könnte sich fragen, ob sie nicht einfach ein bisschen naiv ist? Man sollte aber beden- ken: Für jüngere Menschen ist es ganz normal, permanent sehr viel von sich preiszugeben und aus ihrem ganzen Umfeld ständig Informatio- nen zu erhalten und diese auch für bare Münze zu nehmen. Mae ist also eine junge Frau, die den sozialen Medien grundsätzlich positiv gegenübersteht und in deren Leben es nicht so gut läuft. Sie hat einen schlechten Job, be- vor sie beim Circle eingestellt wird, und be- kommt dort plötzlich alles, wovon sie bis dahin nur träumen konnte. Die Gehälter sind hoch, die Arbeitsbedingungen toll. In der Kantine arbeiten Sterneköche, man kann Sport ma- chen, abends laufen Partys, auf denen Super- stars Freilichtkonzerte geben. Die Transparenz ist der Preis, den man für dieses Paradies zahlt. Sie wird auch als etwas komplett Positives be- schrieben, nach demMotto „Wer nichts zu ver- bergen hat, der braucht auch keine Angst vor Überwachung zu haben“. Die Vision des Circles ist eine Art Rückführung in den Garten Eden, in dem es kein Fehlverhalten, keine Verbrechen und keine Peinlichkeit mehr gibt. Hinzu kom- men die positiven Kommentare, die Mae stän- dig erreichen. Im Circle heißen sie „Smiles“, wir kennen sie als „Likes“. Sie sorgen für stän- dige Endorphinausschüttungen. Das ist wie eine körperliche Sucht, was ja mittlerweile auch nachgewiesen wurde. Die großen Tech-Firmen der Gegenwart arbeiten profitorientiert. Beim Circle hin- gegen scheint Gewinnmaximierung keine Rolle zu spielen. Von welchen übergeordne- ten Motivationen wird das Unternehmen angetrieben? The Circle strebt ein Weltmonopol für alle On- line-Dienstleistungen an, eine Art Weltherr- schaft, wenn man so will. Aber eine vermeint- lich gute. Der Kopf des Circles, Eamon Bailey, glaubt daran, dass das, was seine Firma macht, gut ist. Er gehört zum Typ „lieber Diktator“, der ja heute wieder ziemlich populär ist. Viele Men- schen sind genervt von demokratischen Streit- prozessen und sehnen sich nach einem „guten Menschen“ oder einem „guten Unternehmen“, das seinem sagt, wo es langgeht. Spannend finde ist, dass es aktuell eine Unternehmerfi- gur gibt, die ihre Macht ganz ähnlich nutzt, auch wenn sie politisch dabei in eine ganz andere Richtung zielt: Elon Musk. Er hat für 44 Milliar- den Dollar Twitter aufgekauft und in X umge- wandelt, wobei ihn das Monetäre überhaupt nicht zu interessieren scheint. Dadurch hat er jetzt eine unglaubliche Macht und nimmt kom- plett an allen demokratischen Prozessen vor- bei nicht nur in den USA politisch Einfluss. Das ist erschreckend. Auch die Rumänen haben kürzlich erlebt, wie ein ultranationalistischer Präsidentschafts- kandidat, den die meisten Menschen bis da- hin kaum kannten, bei denWahlen dank einer geschickten Tiktok-Kampagne den ersten Platz belegte … Eine der Ideen des Internets und der sozialen Medien ist deren demokratischer Anspruch, dass nämlich die Gatekeeper der klassischen Medien abgeschafft werden. Das kann man durchaus positiv sehen. Ich glaube aber, letzt- lich sind die Auswirkungen negativ. Die digita- len Medien befördern Verschwörungstheorien und extreme rechtspopulistische Bewegungen. Warum man Leuten, die auf Facebook oder Instagram ihre Thesen verbreiten, mehr Glau- ben schenkt als Leuten, die Journalismus stu- diert haben und mit dieser Arbeit Geld verdie- nen, ist mir ein Rätsel. Letztendlich ist die Zeit, um sich zu informieren, begrenzt. Deshalb braucht man eine Vorauswahl. Da vertraue ich doch lieber einer Tageszeitung, die Geld dafür verlangt, gründlich recherchieren und die Re- sultate qualitativ hochwertig abbilden kann, als mich in irgendwelchen Bubbles oder Rab- bit Holes zu verlieren, in denen von obskuren Dingen wie der jüdischen Weltherrschaft ge- faselt wird. Im Film „The Circle“ spielt Emma Watson die Hauptrolle. Wer schlüpft bei euch in die Rolle der Mae? Miriam Schiweck. Sie kommt frisch von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt amMain, wollte jetzt eh nach Ham- burg ziehen, um hier frei zu arbeiten, und passt wahnsinnig gut in die Rolle. Ein echter Glücks- fall. Wie gehst du bei der Übertragung der Buch- vorlage auf die Bühne vor? Auf die technologischen Aspekte gehen wir nicht so detailliert ein, wie der Roman. Wichtig scheint mir, dass hier eine vermeintlich freund- liche, moderne Welt erschaffen wird, in die die Hauptfigur und hoffentlich auch das Publikum regelrecht hineingesogen werden. Das versu- chen wir über die Musik des Hamburger Hip- Hoppers Levin Liam und eine Choreografie zu lösen. Und sobald das Publikum sich mit der Insze- nierung wohlfühlt, wurde es ebenfalls von den Verführungsstrategien des Circles über- wältigt? Ja, genau. Man soll nachempfinden können, was Mae durch den Circle alles gewinnt, um zu verstehen, warum sie sich auf das alles ein- lässt, und schließlich seine eigenen Schlüsse daraus ziehen zu können. Interview: Sören Ingwersen 22. FEBRUAR (PREMIERE), 28. FEBRUAR UND WEITERE TERMINE; Altonaer Theater So offen, wie es zunächst den Anschein hat, ist der Circle nicht 18 Foto: Krafft Angerer THEATER Ajax und der Schwan der Scham Die Opfer von Starkult und Heldenmythos Mit einemBlutbad imwahren Wortsinn starten die Lessingtage am Thalia Thater. Der antike Held Ajax (fantastisch: Maja Beckmann) kippt eimerweise Theaterblut über seinen Gegen- spieler Odysseus (etwas zu nüchtern: Nils Kahnwald) und spritzt ihm die Brühe gar mit einemSchlauch in den Mund. Zwischendurch schleift Ajax den König Ithakas auf demBoden herum, verwandelt ihn in einen menschlichen Pinsel. Das Blutbild wird zur Kulisse, zu einer Ikone der Rache. Denn Ajax, so erzählt es der Mythos um den Trojanischen Krieg, wurde ge- mein behandelt: Die griechischen Kollegen sprachen die kostbare Rüstung des gefallenen Achill, dessen Leichnam Ajax mutig vom Schlachtfeld geborgen hatte, nicht ihm, son- dern dem listigen Odysseus zu. Der Übervor- teilte dreht durch und schlachtet eine Schaf- herde ab, die er imWahn für die Griechen hält. Anschließend stürzt er sich aus Scham über die peinliche Aktion in sein Schwert. Während das Blut-Hap- pening als Ersatz für den Schafmord noch über- zeugt, wird die Handlung der tragikomischen So- phokles-Adaption „Ajax und der Schwan der Scham“ von Christopher Rüping im weiteren Ver- lauf zunehmend abstru- ser. Weil Ajax nach voll- brachter Tat über Scham oder Nichtscham philo- sophiert und nicht zum Suizid bereit ist, soll auf Geheiß des Odysseus das Stuntgirl Sarah Lane (wirkt gegen Beckmann blass: Pauline Réne- vier) einspringen. Auch sie verweigert aller- dings die Mitarbeit, hat sie doch als Tanz-Dou- ble von Natalie Portman im Psychothriller „Black Swan“ (2010) schlechte Erfahrungen gemacht und wurde ihrerseits übervorteilt. Über diese Parallele hinaus wirkt die Verbin- dung zwischen Ajax-Mythos und Ballettfilm- Kontroverse zu konstruiert. Auch das Spiel mit Portmans Antlitz, das in einer computerani- mierten Projektion abwechselnd die Gesichter von Lane und Odysseus ersetzt, bringt keinen Erkenntnisgewinn. Text: Julika Pohle 9., 19., 22. FEBRUAR UND WEITERE TERMINE; Thalia Theater Ajax’ (Maja Beckmann) Mordgelüste zielen auf Odysseus (Nils Kahnwald) 2.3. – 10.4.2025 ODDOS SEE EINE IRRE FAHRT SCHAUSPIEL MIT MUSIK VON MURAT YEGINER NACH MOTIVEN VON HOMER Foto: Sinje Hasheider
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