hamburg:pur Februar 2024
THEATER Bauern als Zielscheibe des Großkapitals: „Wem gehört das Land?“ Wie gehen du und die drei Darsteller bei der Stückentwicklung vor? Wir haben eine Idee davon, was wir wollen, und trauen uns zu, unsere Themen – die einen ja auch erschrecken können – mit Spaß auf die Bühne zu bringen. Wir entwickeln das Stück dann zusammen aufgrund des Materials, das ich zusammensuche. Auch die Bühnenbildne- rin und der Musiker bringen ihre Ideen ein, etwa dass ein Paragraf aus der Bayerischen Verfas- sung als Lied vertont werden soll. Für deine erste Inszenierung am Lichthof Theater „Cum-Ex Papers“ wurdest du mit dem Faust-Theaterpreis ausgezeichnet, und das Stück wurde auch überregional in den Medien gefeiert. Setzt dich der Erfolg unter Druck, diesen selbstauferlegten „Best-Practice- Standard“ zu halten? Natürlich greift man als Künstler mit allem, was man tut, auf Dinge zurück, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat. Aber gleichzeitig möchte man sich auch weiterentwickeln. Ich denke, das ist ein ganz normaler Prozess, der in meinem Fall vielleicht etwas spezieller ist, weil das dokumentarische Genre vergleichs- weise überschaubar ist und so ein Preis entsprechend stärker wahrgenommen wird. „Wem gehört das Land?“ wird aber viel atmo- sphärischer sein als „Cum-Ex Papers“, weil dem Publikum die Agrarwelt dann doch leichter verständlich ist und wir weniger erklären müs- sen. Es geht uns um eine Entfremdung von den landwirtschaftlichen Abläufen, die inzwischen ja auch hoch technisiert sind. Wie soll ein Bauer, der allein eine 400-Hektar-Soja-Farm betreibt, noch ein Verhältnis zu seinemBoden haben? In deinen Stücken werden skandalöse Fak- ten und personenbezogene Anschuldigun- gen schonungslos auf die Bühne gebracht. Macht man sich auf diese Weise nicht auch Feinde? Wurden dir schon strafrechtliche Konsequenzen angedroht? Nein. Ich glaube, wir genießen den Schutz des Theaters, weil verhältnismäßig wenige Leute unsere Stücke sehen, und eine Klage die Auf- merksamkeit nur steigern würde. Politik und Menschen des öffentlichen Lebens müssen aushalten, dass man ihr Handeln kritisiert. Es geht uns auch nicht darum, jemanden aus- zustellen oder vorzuführen. Wenn die ALDI- Stiftung in Ackerland investiert, ist das nicht per se schlecht. Das Land kann trotzdem sinnvoll genutzt werden. Das Problem ist ein systemisches, und wir müssen wirklich kein Mitleid mit Milliardär*innen haben. Am Ende geht es eben auch um Umverteilung. Text Sören Ingwersen 9. FEBRUAR (HAMBURG-PREMIERE), 10., 16.–18. FEBRUAR; Lichthof Theater sem Satz anmelden. Diese Grenze muss man aber nicht markieren. Das Publikum versteht, welche Haltung wir dazu haben. In deinem neuen Stück „Wem gehört das Land?“ geht es umden enthemmten Handel mit Getreide und Ackerflächen. Wo setzt ihr mit eurer Kritik an? Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 sind die Preise für Ackerland extrem explodiert. Der Im- mobilienmarkt war zusammengebrochen, die Zinsen gingen in den Keller, also suchte man nach Anlagemöglichkeiten mit Wertstabilität. Da bot sich Ackerland an, weil kein neues mehr geschaffen wird, sondern die Flächen sogar eher wieder schrumpfen und der Anbau zusätzlich Rendite verspricht. Die durch die Investorennachfrage hochgetriebenen Preise führen dazu, dass Bauern das Land nur noch pachten können. Aber auch die Pachtpreise sind oft nicht mehr bezahlbar. Das treibt die industrielle Landwirtschaft auf großen Flächen voran, bei der mit weniger Arbeitskräften mehr Ertrag erzielt wird. Mit welchen negativen Auswirkungen? Es entstehen Nutzungskonflikte, die nicht leicht zu lösen sind, denen man sich aber stellen muss. Auf diesen Flächen kann kein Moor wiedervernässt, kein Öko-Landbau be- trieben, kein Schutz der Artenvielfalt gewähr- leistet werden. Durch Photovoltaik wird das Problem noch verschärft. Die Anlagen sind sehr günstig geworden und haben einen hohen Wir- kungsgrad. Es ist lukrativ, riesige Ackerflächen zu kaufen oder zu pachten, um darauf Solar- anlagen zu errichten. Es sind oft komplexe Sachverhalte, mit denen ihr das Publikum konfrontiert. Auch die Cum- Ex-Geschäfte haben ja wahrscheinlich nur deshalb so lange funktioniert, weil ihre Struk- turen so verworren sind … Das ist ein Narrativ, das den Tätern in die Kar- ten spielt. So komplex ist es am Ende nicht. Man lässt sich eine Steuer erstatten, die man nie bezahlt hat. Mit demAckerland ist es ganz ähnlich. Es gibt Gründe für Pachtpreise und dass mit Ackerland gehandelt werden darf. Es gab Gesetze, die dafür sorgen sollten, dass Bäuerinnen und Bauern ein Vorkaufsrecht haben. Aber Dinge, die einmal gut gedacht wa- ren, müssen nicht für immer gut funktionieren. Das gilt auch global. Wenn ein Kleinbauer in Afrika oder Indonesien mit einem Agrarkon- zern aus den USA konkurriert, hat das nichts mehr mit marktwirtschaftlichemWettbewerb zu tun. Das ist eine Verdrängung, die neokolo- niale Strukturen wiederbelebt. Diese Dinge lassen sich relativ einfach erklären. Foto: Judith Weßbecher 18 Foto: Tim Behrsing THEATER Der Tod und das Mädchen Kammerspiel der Rache Ein durchlittener Albtraum holt eine junge Frau wieder ein: Vor fünfzehn Jahren wurde sie von mehreren Männern gefangen ge- halten, gefoltert und vergewal- tigt. Nun erkennt sie einen ihrer Peiniger an der Stimme wieder: Er ist zu Gast in ihremHaus, ein- geladen von ihrem Mann nach einer zufälligen Begegnung. Fest entschlossen, sich zu rächen und den Verbrecher zumGeständnis zu zwingen, fesselt die Frau den Gast und droht ihmmit dem Tod. Aber kann sie ihren zweifelnden Ehemann, einen Anwalt, von ihremVorhaben überzeugen? Ariel Dorfman schrieb das Drama nach Erfahrungen in einer nicht näher benannten Mi- litärdiktatur. Seinem Drei-Personen-Stück gab er den Titel „Der Tod und das Mädchen“, da die Männer ihre brutalen Übergriffe mit Schuberts berühmtemStreichquartett unter- legten. Am Hoftheater inszeniert Stefan Leonard das Kam- merspiel einer Rache. (def) 23. FEBRUAR (PREMIERE), 24., 25. FEBRUAR UND WEITERE TERMINE; Das kleine Hoftheater BUTEN VÖR DE DÖÖR DRAUSSEN VOR DER TÜR VON WOLFGANG BORCHERT OP PLATTDÜÜTSCH & HOCHDEUTSCH 30.1. – 3.3.2024 Foto: Sinje Hasheider | Gestaltung: Spektral3000
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