HHPur-2022_02

THEATER sich darauf einlassen oder es ablehnen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Es ist aber für mich schon ein Qualitätsmerkmal, wenn Zuschauer realisieren, dass sie diese Entschei- dung treffen müssen. Bei „Sophie“, dem vorherigen Stück, das Re- gisseur Antoine Uitehaag mit Ihnen amErnst Deutsch Theater realisiert hat – Sie erhielten für die herausragende Darstellung der Titel- figur 2019 den „Hamburger Theaterpreis – Rolf Mares“ –, stand man ja auch vor der Wahl, ob man sich auf eine Selbstbespiege- lung einlässt. Genau. Man musste sich entscheiden, der Rei- se durch Sophies gesamtes Leben zu folgen oder eben nicht. Erst wenn ich mich darauf einlasse und es aushalte, entsteht für mich ein Theatererlebnis, das mich bewegt. Ich möchte noch einmal auf die Begegnun- gen zurückkommen. Wir glauben oft, unser Leben selbstbestimmt zu führen und durch bewusste Entscheidungen zu lenken. Ist das eine Illusion? Da halte ich es mit Brecht: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht.“ Sich darauf zu verlassen, dass das Leben einen führen wird, ist die spannendere Variante. Wer genug Mut hat, sollte es so machen. Da sind Sätze wie „Schließt sich eine Tür, öffnet sich die nächste“ einfach wahr. Es ist schlimm, an etwas festzuhalten, was dich schon längst verlassen hat. Die Musiker Jaap deWeijer und Martin Vonk sowie Bühnenbildner Tom Schenk gehörten ja auch schon bei „Sophie“ mit zum Team. Es entsteht wieder ein Gesamtkunstwerk. Wir werden mindestens eine Woche damit zubrin- gen, die Technik in das Stück einfließen zu las- sen. Ich habe bisher nur die Computerbilder gesehen, aber freue mich jetzt schon wie ein Kind darauf. Was Tom angekündigt hat, finde ich grandios. Fühlt man sich als Schauspielerin von der Technik – gerade wenn es um aufwendige Projektionen geht – nicht manchmal an den Rand gedrängt? Tom hat natürlich eine Idee, aber er würde sich niemals in den Vordergrund schieben mit dem, was seine Arbeit betrifft. Das gilt für das ganze Ensemble. Hier gibt es keine Eitelkeit und nie- mand möchte hervorstechen, weil es allen nur um die Sache geht. Und Antoine ist der einzige Regisseur, den ich kenne, der Schauspieler wirklich aushalten kann. Der guckt und wartet, was kommt, um damit zu arbeiten. Das ist wirk- lich kostbar, ein Diadem, was ich mir in die Schmuckschatulle legen könnte – wenn ich eine hätte. Harper sucht also keinen Trost in der Fami- lie? Nein, sie nutzt die Chance, Wahrheiten zu er- kennen. Wahrheiten haben mit bewegenden Situationen zu tun und sind eine Möglichkeit für Veränderung. Als Unterkategorie tauchen dann die familiären Verquickungen auf, die Liebe und die Frage, wie ich damit umgehe, dass ich niemals genau wissen kann, was ein anderer Mensch denkt? Vielleicht möchte ich es auch gar nicht wissen, weil ich ahne, dass es dort etwas gibt, was ich nicht gutheiße. Wird Harper durch die Reise zu ihrem Vater, den sie nicht mehr lebendig antrifft, noch einmal mit ihrer Kindheit und Jugend kon- frontiert? Unterschwellig. Es geht in dem Stück darum, dass wir mit Erinnerungen leben, die nicht der Wahrheit entsprechen. Wenn wir rückblickend auf unser Leben schauen, bauen wir uns Er- innerungen zusammen, die wir erträglich und schön finden. Sie spiegeln aber nicht den fak- tischen Sachverhalt dessen wider, was gesche- hen ist. Manchmal wird man dann gezwungen, die Dinge neu zu überprüfen, und muss dann damit klarkommen. Das tun die wenigsten Menschen. Wir sind ja eher Selbstbestätiger und Betäubungsmaschinen als Auseinander- setzer. Auf ihrer Reise macht Harper Bekanntschaf- ten, die ungeahnte Folgen haben. Welche Rolle spielen Menschen, denen man im Le- ben begegnet, für die eigene Biografie? Es fängt ja alles mit der Neugier an. Ich kann nur jemandem begegnen, wenn ich ihn an- schaue, wenn ich ihm Fragen stelle und auch Antworten hören möchte. Dann ist jede Be- gegnung wichtig, und es gibt Momente im Leben, in denen man denkt: Den habe ich doch jetzt nicht ohne Grund getroffen. Das kann ich aus demStück in mein eigenes Leben zurück- spiegeln. Da sind wir dann schnell bei so gro- ßen Worten wie Fügung und Schicksal. Hört sich an wie ein echtes Seelendrama. „Harper Regan“ ist ein scheinbar saloppes Well-Made-Play und hat trotzdem Tiefgang. Warum sollte sich das ausschließen? Man kann Wie viele Stücke haben Sie mit Antoine Uitehaag zusammen realisiert? Ich glaube, fünf oder sechs, aber mir kommt es vor wie zwanzig. Er ist mein absoluter Lieb- lingsregisseur, ein Mensch, mit dem ich während der Arbeit nicht viel reden muss. Das passiert einem nur ein oder zwei Mal im Leben. „Harper Regan“ ist mein vorläufig letztes Thea- terstück, weil ich mich von der Bühne zurück- ziehe. Dass ich das mit Antoine mache, hat seinen Grund. Sie kehren der Bühne den Rücken? Wegen Corona? Ja. Ist es nicht eine harte Entscheidung, einen Beruf, den man aus Leidenschaft gewählt hat, aufzugeben? Vor fast zwei Jahren ist eine Abrissbirne durch meinen Spielplatz gefahren, und ich finde kei- ne Energie, ihn wieder aufzubauen. Jetzt habe ich mich anderweitig orientiert und bin damit sehr zufrieden. Dieser erzwungene Perspek- tivwechsel war nach fast dreißig Jahren viel- leicht auch wichtig. Ich kenne viele Kollegen, denen es sehr schlecht geht. Es hat sich eine andere Tür geöffnet? Ja. Zum Glück. Möchten Sie sagen, welche? Mich hat eine gute Freundin angerufen, die für die UFA arbeitet. Dadurch habe ich einen Be- ruf gefunden, in dem ich alle meine Fähigkeiten einbringen kann, meine Führungsqualitäten und meine Lehrtätigkeit. Ich habe ja auch an der Schauspielschule unterrichtet. Wie schätzen Sie den Schaden der Kultur durch Corona ein? Für mich sind viele Dinge passiert, die ich vor- her nie infrage gestellt hatte. Zum Beispiel, dass das Theater nicht zum Bildungskanon gehören soll. Nur die Museen hatten das für ihre Institutionen durchgesetzt. Da hätten sofort alle mitziehen müssen, denn jede künst- lerische Einrichtung ist Teil des Bildungs­ kanons. Die Bildung des Geistes bedarf aber einer gewissen Anstrengung, und auch durch Corona hat eine allgemeine Trägheit zugenom- men. Man ist inzwischen eher den Sessel zu- hause gewohnt, als sich selbst zu motivieren. Deshalb haben wir das Theatersterben noch vor uns. Interview: Sören Ingwersen BIS 20. FEBRUAR; Ernst Deutsch Theater 34 Foto: Jens Hauer Richard O’Brien’s Rocky Horror Show Kurzerhand die Tasche mit Konfetti, Wasserpis- tole und Knicklichtern bestückt, und schon ist die Ausrüstung für den Abend komplett. Seit den ersten Tagen der Live-Show (und des Kinofilms wenig später) gehört Mitfeiern und -singen zur „Rocky Horror Show“ wie zu jedem gelungenen Kindergeburtstag. Die Story ist Nebensache, Kult sind die Songs und die Message: „Don’t dream it, be it!“ Jede Menge Situationskomik entsteht, wenn das frisch verliebte, sehr biedere Paar Brad und Janet nach einer Autopanne in einem gru- seligen Schloss Zuflucht sucht und dort statt Pannenhilfe den Crashkurs „Sex für Fortgeschrit- tene“ bekommt. Hausherr Dr. Frank N. Furter liebt Menschen jederlei Geschlechts und bastelt sich gerade den idealen Liebhaber, Rocky – dumm und muskulös. Für den Horror-Part sorgt der bru- tale Mord an seinem Ex-Lover. Die Show aber ist unsterblich. (def) 2.–6. FEBRUAR; Barclays Arena THEATER Jetzt NEU! 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