Februar 2020

37 KRITIKEN Der Mensch gegen das unmenschliche System, das war und ist das Thema von Ken Loach („The Wind That Shakes the Barley“). So auch in seinem jüngs- ten Film „Sorry We Missed You“. Diese Zeile steht auf den Zetteln, die Ricky Turner (stark: Kris Hitchen) an die Tür klebt, wenn der Empfänger nicht an- zutreffen ist. Der gelernte Handwerker hat einen Franchise-Vertrag unter- schrieben und schuftet täglich 14 Stunden für einen Paketdienstleister, um seine Familie durchzubringen. Doch was anfangs wie der lang erhoffte Weg in die Selbstständigkeit aussieht, entpuppt sich als fatale Falle. Mit zuneh- mender Erschöpfung steuern die Turners auf eine Katastrophe zu ... Die Paketzustellerbranche stand schon häufig am medialen Pranger, und obwohl er hier vielleicht nicht viel Neues erzählt, so tut Ken Loach dies mit einer emotionalen Intensität, die auf schmerzhafte Weise für das Thema sen- sibilisiert. Dem verzweifelten Überlebenskampf der Turners zuzusehen, ist wahrlich die Antithese eines Feelgood-Erlebnisses. Dennoch: Wenn es mög- lich wäre, das System nur durch einen Film zu ändern – es wäre wohl einer wie dieser. (kj) AB 30. JANUAR GB/BEL/F 2018; USA 2019; 101 Min.; R: Ken Loach; D: Kris Hitchen, Debbie Honeywood, Rhys Stone ★★★★★ 1894 in Frankreich: Der jüdische Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus (Louis Gar- rel) wird der Spionage für die Deutschen angeklagt, hinter verschlossenen Türen verurteilt und auf der berüchtigten Teufelsinsel vor Französisch-Guayana lebens- länglich weggesperrt. Wer, wenn nicht der einzige Jude im Regiment, sollte schließlich der Schuldige sein? Dreyfus’ ehemaliger Vorgesetzter wird wenig spä- ter zum Geheimdienstchef befördert – und zweifelt an der Schuld des Verurteil- ten. Entgegen klarer Befehle von ganz oben ermittelt er auf eigene Faust und riskiert zugunsten der Wahrheit sein eigenes Leben. Roman Polanski hat die sogenannte Dreyfus-Affäre, die Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts erschütterte, handwerklich beeindruckend gekonnt, doch recht klassisch verfilmt. Wirkliche Brisanz erhält der Film vor allem durch die erschre- ckende Aktualität des historischen Stoffes: Machtgier, Vertuschung und vor allem einen immer weiter um sich greifenden Antisemitismus gibt es auch noch heute. (mas) AB 6. FEBRUAR F/I 2019; 132 Min.; R: Roman Polanski; D: Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner ★★★★ ★ Zwei Jahre ist es her, dass Ingimundurs (Ingvar E. Sigurðsson) Frau bei einem Au- tounfall ums Leben kam. Die Trauer lastet immer noch schwer auf dem ehemaligen Polizisten, der seitdem nicht mehr gearbeitet hat. Einzig seine Enkelin Salka (Ída Mekkín Hlynsdóttir), die er häufig betreut, und der Umbau eines abgelegenen Hauses, das eine neue Heimat werden soll, geben ihm die Kraft weiterzumachen. Bis er beim Ausräumen einer Kiste eine Entdeckung macht, die einen Verdacht in ihm weckt: Seine Frau hat ihn vor ihrem Tod betrogen. Die Suche nach der Wahrheit wird für Ingimundur zur Obsession, die immer wahn- haftere Züge annimmt, bis er sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Ingvar E. Sigurðs- son (“Von Pferden und Menschen”) verkörpert den einerseits zärtlich liebenden, an- dererseits von Gram und Hass zerfressenen Großvater auf beeindruckend intensive Weise, und Regisseur Hlynur Pálmason bettet das zunehmend verstörende Psycho- gramm in die für isländische Filme so typischen Naturaufnahmen. (mas) AB 20. FEBRUAR ISL/DK/S 2019; 109 Min.; R: Hlynur Palmason; D: Ingvar Eggert Sigurðsson, Ída Mekkín Hlynsdóttir, Hilmir Snær Guðnason ★★★★★ Sorry We Missed You Intrige Weißer, weißer Tag Foto: Guy Ferrandis Foto: Joss Barratt Foto: Arsenal Film

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