Februar 2020

33 THEATER Nach „Ich, das Ungeziefer“ bringt der ungarische Regisseur Viktor Bodo mit „Das Schloss“ erneut Franz Kafka auf die Bühne des Schauspielhauses. Dramaturgin Sybille Meier, die ihn zum zweiten Mal begleitet, erzählt im Interview von der Sehnsucht nach dem Abwesenden und wie sie Kafkas Werk weiterspinnen Foto: Viktor Bodo K.einWeg führt ins Schloss SCHAUSPIELHAUS Gibt es da eine Parallele zur heutigen Welt, in der man bluffen und alternativen Fakten schaf- fen muss, um erfolgreich zu sein? Ich glaube, ja. Am Anfang des Romans beginnt K. mit großer Souveränität und vielleicht sogar Arroganz eine Art Spiel. Das wird aber konter- kariert, durch das Schloss, das als ein allwis- sendes System erscheint und das Spiel immer wieder umdreht und pervertiert. Das hat viel mit unserer modernen Arbeitswelt zu tun, in der Menschen mittels Algorithmen eingeschätzt und Suchprofile erstellt werden, denen man sich an- zugleichen versucht. In diesem Kontext werden wir auch das Thema Überwachung aufgreifen. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass K.s Kommunikation mit dem Schloss nur auf medialem Weg per Telefon, Brief und mittels Dokumenten erfolgt, wobei völlig im Dunkeln bleibt, was auf der anderen Seite ankommt und welche Auswertungen dort stattfinden. Da finde ich Kafka geradezu prophetisch. Dieses Spiel mit Möglichkeiten, mit Virtualität ist in un- serer Inszenierung ein großes Thema und lässt sich wunderbar auf das Internet übertragen. Wir aktualisieren das aber nur bedingt, weil wir das Parabelhafte des Romans beibehalten wollen. In dieser Parabel spielt natürlich das titel- gebende Schloss eine zentrale Rolle. Es übt eine große Macht aus, bleibt aber für K. und die Dorfbewohner unerreichbar. Wofür steht Sybille Meier, Franz Kafka hat seinen Roman „Das Schloss“ unfertig hinterlassen. Es gibt kei- nen richtigen Schluss, zwei alternative Anfän- ge und viele aufschlussreiche, aber vom Autor gestrichene Stellen. Wie geht man mit einem solchen Stoff auf der Bühne um? Sybille Meier: Wir nehmen den Roman als Basis und schauen, welche Themen uns interessieren. Eine wichtige Ausgangsfrage wirft der Protago- nist auf, der als Fremder auf eine neue Gemein- schaft stößt, aber von ihr nie wirklich aufgenom- men wird. Im Roman ist es ein Dorf unterhalb des Schlosses. Viktor Bodo macht aus dem Dorf eine Arbeitsgemeinschaft, eine geschlossene Welt, in der bestimmte Gesetze vorherrschen. Der Fremde, der im Roman K. genannt wird, ist ja tatsächlich ins Dorf gekommen, um zu arbeiten … Er gibt vor, als Landvermesser bestellt worden zu sein, aber diese Idee ist ein großer Bluff. Er kategorisiert sich mit einem Beruf, der vor Ort nicht gebraucht wird.

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