Februar 2019

36 THEATER DIE ÜBRIGGEBLIEBENEN ist krank“ Foto: Steffi Henn Der frisch mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring 2019 ausgezeichnete Schauspieler André Jung kommt als Gast nach Hamburg und übernimmt eine Rolle in Karin Henkels Inszenierung „Die Übriggebliebenen“ Herr Jung, die Uraufführung nutzt drei Texte von Thomas Bernhard, zwei Dramen und einen Ro- man, und verwebt sie zu einem Abend. Welchen gemeinsamen Nenner gibt es?  André Jung: Eine bestimmte Geschwisterkon- stellation, bestehend aus einem Mann und zwei Frauen, taucht in allen drei Texten auf. Aber es gibt auch Ähnlichkeiten in der Thematik sowie vergleichbare Verhaltensmuster der Figuren mit Obsessionen und Ängsten. Sie spielen Rudolf Höller, einen Richter „Vor dem Ruhestand“, wie Bernhards Drama aus dem Jahr 1979 heißt. Dieser Mann feiert alljährlich heimlich am 7. Oktober Himmlers Geburtstag und hofft, dies eines Tages wieder öffentlich tun zu dürfen … Dieser Höller ist ein total ängstlicher Mann, schein- bar ganz lieb. Doch wird er gemobbt. Und so re- det er nur davon, dass er kein schlechter Mensch sei, dass er alles richtig gemacht und sich immer für das Vaterland und die Menschen eingesetzt habe. Und er ist sicher: Die meisten sind „gute“ Deutsche …  Wie nähert sich André Jung diesem Rudolf Höller? Ich versuche, es mit dem zu verbinden, was ich heutzutage erlebe – es ist ja alles wieder da! Die- ser Rechtsruck in europäischen Ländern, da braut sich etwas zusammen und viele Leute rühren wie- der in der Vergangenheit. Auch Höller und seine Schwestern sind Verfolgte, die Vergangenheit lässt sie nicht los. Es ist abgrundtief abstoßend und trotzdem abgrundtief bedauernswert. Die Ursache dafür liegt in einer ebenso abgrundtiefen Angst, das Ganze ist krank. Schlägt auch Karin Henkels Inszenierung einen Bogen ins Hier und Jetzt? Nein, das wird kein Aufruf gegen Rechts, es bleibt Thomas Bernhard. Wer den Autor kennt, weiß so- wieso, dass es diesen Vergangenheitshass gibt, und dessen Anti-Nazi-Haltung ist bekannt. Interessant aber ist, wie die Figuren gestrickt sind, „lieb“ halt, aber zutiefst braun – es ist erschreckend. „Vor dem Ruhestand“ kombiniert Henkel mit dem Drama „Ritter, Dene, Voss“ und dem Roman „Die Auslöschung“; wie finden die drei Quellen zuei- nander? Das ist die Herausforderung, eine Verquickung hinzukriegen. Die drei Handlungsstränge finden in einem Geisterhaus statt, einem Fantasieraum voller Erinnerungen. Ihre Tochter Marie Jung ist ebenfalls Schau- spielerin und am Thalia Theater engagiert, Sie sehen sich vermutlich? Ja, sie ist vor Kurzem Mutter geworden, und so habe ich neulich auf meine Enkelin aufgepasst. Nachdem Sie Hamburg im Jahr 2000 verließen, waren Sie am Schauspielhaus Zürich und an den Münchner Kammerspielen engagiert, seit 2015 gehören Sie keinem Ensemble mehr an, warum? Ich war 40 Jahre lang immer in Ensembles, an den jeweiligen Häusern habe ich Theaterfamilien gefunden, wunderbare Künstler kennengelernt, die mich bereicherten – aber ich wollte noch ein- mal etwas anderes machen. Zum Beispiel mehr Filme drehen. Was ist Ihnen näher: Film und Fernsehen oder die Arbeit auf der Bühne? Die Bühne. Einen Film zu drehen, zwei Monate mit einer tollen Crew zu verbringen, ist wunderbar, anders schön eben. Aber Theater ist für mich das Mutterhaus, die Heimat des Schauspielers; so wie mein Dorf, aus dem ich komme. Interview: Dagmar Ellen Fischer AB 16. FEBRUAR Schauspielhaus „Das Ganze

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