hamburg:pur Januar 2023
Foto: Emma Szabó THEATER zeigt, könnte man glauben, er hielte „Ver rückte“ für nicht schuldfähig. Aber ein Mann, der seine Frau imWahn umgebracht hatte, wurde von ihm als schuldfähig eingestuft, weil das Verrücktsein für Hoffmann zum Menschsein dazugehörte. Das ist auch der Ausgangspunkt meiner Inszenierung. Ich liebe das Wort „ver rückt“. Etwas zu verrücken, ist ja eigentlich gut. Aber Nathanael leidet sehr unter den Er- scheinungen, die ihn heimsuchen … … was aber eher auch an seiner Umgebung liegt, da ihm niemand glaubt. Ist der Wahn tatsächlich etwas Selbstverschuldetes? Wir leben in einer Welt, in der man ständig das Gefühl hat, an allem selbst schuld zu sein. Unsere Welt würde sich sehr zum Positiven verändern, wenn wir Menschen, die nicht voll funktionsfähig sind, besser behandeln würden. Der Druck zu funktionieren, hat sich seit der Zeit E. T. A. Hoffmanns ins Unermessliche ge steigert. Von daher kann man den Text auch als eine anti-kapitalistische, Anarchie-beja hende Erzählung lesen. Was könnte der Mensch sein, wenn er sich nicht vollständig in das System einordnet? Diese Frage beschäf tigt mich schon seit Jahren. Worin besteht die Relevanz dieser Frage für die Theaterbühne? Darin, dass viele Leute sich extrem einsam und isoliert fühlen. Wenn das Theater Menschen zeigt, die an der Welt scheitern, fühlt man sich weniger alleine. Ich denke, Einsamkeit ist psy chisch betrachtet eines der größten Probleme. Deshalb kann man auch gar nicht überschät zen, wie stark die psychische Gesundheit von Jugendlichen während der Corona-Zeit gelit ten hat. Die Studien dazu sind erschreckend. Unser Stoff ist also wirklich relevant. „Der Sandmann“ sollte ursprünglich schon im Februar 2022 Premiere feiern und wurde dann sehr kurzfristig abgesagt, weil es Co- rona-Fälle im Ensemble gab. Zuerst hatte einer unserer Schauspieler Co rona, und am Ende gab es nur noch zwei, die nicht infiziert waren. Was bedeutet diese Terminverschiebung um fast ein Jahr für eure künstlerische Arbeit? Durch die zusätzliche Probenzeit, kann die In szenierung nur gewinnen. Aber es war ein wahnsinniger Dispositionsaufwand, die Auf führungen nachzuholen. Das künstlerische Be triebsbüro leistet zurzeit eine unglaubliche Arbeit, um die vielen Verschiebungen hinzu bekommen. „Der Sandmann“ wird als Oper von Anna Cal- vi und Robert Wilson angekündigt. WennWil- sons Inszenierung durch deine ersetzt wird, warum taucht sein Name in der Ankündigung überhaupt noch auf? Die Songs von Anna Calvi und auch die Text fassung von Janine Ortiz, die für uns die beiden Ebenen des Stücks bilden, sind in der Zusam menarbeit mit Robert Wilson entstanden. Insofern war Wilson maßgeblich an der Ent wicklung beteiligt. Welches Verhältnis hast du zuWilsons Insze- nierungen, von denen seit den 1980er-Jahren ja viele am Thalia Theater stattfanden? Ich kenne ihn seit meiner Kindheit, weil ich in Hamburg aufgewachsen bin. Sein Theater war für mich prägend. Wilson ist eine Inspiration für alle, die sich mit Schauerromantik beschäf tigen. Aber natürlich werde ich seine Inszenie rung des „Sandmanns“, mit der 2017 die Ruhr festspiele Recklinghausen eröffnet wurden, nicht einfach reproduzieren. Du bist nicht nur in Hamburg, sondern wahr- scheinlich auch mehr oder weniger am Tha- lia Theater aufgewachsen. Deine Mutter Vic- toria Trauttmansdorff gehört seit 30 Jahren zum Ensemble, und auch dein Vater Wolf- Dietrich Sprenger war zehn Jahre lang En- semblemitglied und hat am Thalia Theater Regie geführt. Welche Beziehung hast du speziell zu diesem Theater? Es ist schon Wahnsinn, dass ich jetzt selbst dort inszeniere, weil der Ort durch die Kind heitserlebnisse sehr stark aufgeladen ist. Aber durch meine eigene Arbeit dort entstand auch sehr schnell ein neues, anderes Gefühl. Auch da findet eine Verschiebung, eine Verrückung statt. Hast du mit deiner Mutter schon im Theater- bereich zusammengearbeitet? Nein, das machen wir, wenn der richtige Zeit punkt gekommen ist und sich ein Stoff dafür anbietet. Dadurch lernt man bestimmt noch eine Menge über sich selbst. Interview: Sören Ingwersen 8. JANUAR (PREMIERE), 10., 15. JANUAR und weitere Termine; Thalia Theater Welt anders wahrnimmt, ist diese Welt sehr real. Was sieht man auf der Bühne? Unsere Bühne von Aleksandra Pavlović ist ein absurdes Restaurant. Es ist ein an die Realität angebundener Ort, der aber zugleich auch eine Metapher für Nathanaels Innenleben ist. Dort begegnet er einem Kellner, dem er die Geschichte seiner Kindheit erzählt, und gegen über dem er im Laufe des Abends eine Art Psy chose entwickelt, er hält ihn für den gruseligen Sandmann aus seiner Kindheit, wodurch sich seine Realität mehr und mehr auflöst. Ist diese Begegnung nur Ausdruck seiner wahnhaften Fantasie? Es wäre eine Anmaßung, das zu entscheiden. Es geht hier ja um ein unauflösbares Problem. Wie viel von dem, was wir sagen, resultiert aus den eigenen Ängsten, Wünschen und Hoffnun gen, die wir auf andere Menschen projizieren. Wenn Menschen sich über Verhaltensweisen anderer aufregen, die sie wütend machen, sind es interessanterweise fast immer Dinge, die sie auch an sich selbst bemerken. Da fängt das Verrücktsein, die Verschiebung der Realität schon an. E. T. A. Hoffmann war neben seinen Berufen als Autor und Komponist auch Jurist und hatte für seine Zeit eine sehr liberale, fort schrittliche Haltung. Da er im „Sandmann“ so viel Empathie für den verrückten Nathanael 18 Foto: Frank Eidel „Schluss jetzt!“ Von undmit Florian Schröder Pandemie, Krieg, Gaskrise und die Hochzeit von Christian Lindner. Das Jahr 2022 hatte viele Krisen zu bieten. Dazu kommen Querdenker, Umdenker, Andersdenker, Nichtden- ker und mit alldemmuss man klarkommen. Und womit geht das am besten? Richtig, mit Humor. Florian Schröder bie- tet genau das: Er blickt in „Schluss jetzt! Der satirische Jahresrückblick“ mit Humor auf das Jahr 2022 zurück. Da- bei analysiert, kommentiert und parodiert er alles, was ihm vor die Flinte kommt: von der großen Politik bis zu den kleinen Ereignissen des Alltags. Schröder ist und bleibt einer der erfolgreichsten Kabarettisten Deutschlands und so gelingt es ihm auch in seinem neuen Jahresrückblick spielend zwölf Monate in zwei Stunden so zu komprimie- ren, dass sein Publikum sich kaum entscheiden kann, ob es weinen oder schreien soll. Eines steht allerdings fest: Gelacht wird auf jeden Fall. (fw) 7. JANUAR; Laeiszhalle; eine Veranstaltung von Alma Hoppes Lustspielhaus THEATER DE LEVEN ÖLLERN KOMÖDIE VON EMMANUEL & ARMELLE PATRON 15.1. – 26.2.2023 Foto: Sinje Hasheider
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