HHPur-2022_01

Foto: Kerstin Pukal THEATER Chris Tall, Sascha Grammel und Cindy aus Marzahn gehörten vor Jahren zu den Teil- nehmenden, bekamen sie hier den entschei- denden Karriereschub? Die drei wären auch ohne Comedy Pokal ihren Weg gegangen, allerdings haben sie beimPokal etwas Wichtiges gezeigt: Dass ihr Programm auch auf einer längeren Strecke funktioniert, sie müssen echte Menschen fast eine Stunde vom Hocker reißen, Jung und Alt, Publikum aus reicheren und auch ärmeren Stadtteilen. Das ist etwas, was Youtube-Stars oder künst- liche Agentur-Comedians, die in Kölner Labors fürs Fernsehen gezüchtet werden, oft nicht können. Sie selbst machen intelligentes, politisches Kabarett, fehlt Ihnen dieser Aspekt nicht hin und wieder bei den Kandidaten und deren Beiträgen? Danke, danke. In meinem Herzen bin ich ein Comedian, der sich mit politischen Themen beschäftigt. Ich mache keinen Unterschied zwischen Kabarett und Comedy. Üblicherweise sagt man, Comedians machen einfach nur Gags, und imKabarett geht es darum, mit Hu- mor auf Missstände hinzuweisen. Natürlich haben auch Comedians eine Haltung, es ge- hört zur Comedy-Tradition, dem Publikum zu sagen, wer man ist und woher man kommt. Auf Comedy-Bühnen geht es viel diverser zu als im Kabarett. Ehemalige Flüchtlinge machen erfolgreich Comedy, mit Wurzeln in den unter- schiedlichsten Ländern. Mit Osan Yaran ge- wann ein Mann den Pokal, der zuvor bei Lidl wenige Auftritte hatte. Also dachte ich mir: Ein großes wiederkehrendes Event wäre doch eine gute Strategie, den Januar aufzuwerten. Im Januar 2022 werde ich mit 53 Jahren den Ham- burger Comedy Pokal moderieren, den ersten moderierte ich mit 32. Es ist erstaunlich, wel- che Bedeutung er gewonnen hat als inzwischen größter Comedy-Wettbewerb Deutschlands. Wie viele Pokal-Anwärter bewerben sich je- des Jahr? Mehrere hundert. Und welche Kriterien müssen die Bewerber erfüllen: Soll ein breites Spektrum gezeigt werden oder gilt nur Witzigkeit? Es geht allein umWitzigkeit: Werden die Leute zum Lachen gebracht? Allerdings können Ori- ginalität, abgründige Themen, der eigene, mög- lichst besondere Blickwinkel auf die Welt, alles, was einen von anderen unterscheidet, ent- scheidend sein, um den Pokal einzusacken. Es gibt reichlich Stammpublikum beimPokal, das schon viel Comedy gesehen hat. Eine Imitation der Stimmen von Grönemeyer oder Udo Lin- denberg, Stand-up über Ikea, Männer und Frauen können beim Publikum Gähnen aus- lösen. Die Betonung liegt auf kann, denn es gibt kein Thema, das schon durch ist. Es geht nur um gute Gags. Es ist also möglich, dass im Januar jemand erfolgreich ist mit einer Num- mer, wie Grönemeyer und Lindenberg bei Ikea aufeinandertreffen und mit ihren Frauen in Streit geraten. Wer wählt die 20 Kandidaten aus? Das macht eine Jury aus zehn Leuten, die die zehn Kulturzentren leiten, in denen die Haupt- runde stattfindet. Sie schauen sich in einer endlosen Sitzung Youtube-Bewerbungen, DVDs und früher auch VHS-Kassetten an. 2022 sind auch wieder Bewerber aus Ham- burg dabei, gibt es so etwas wie einen Heim- vorteil? Für den Publikumspreis auf jeden Fall, wenn man es schafft, zweihundert Freunde ins Ti- voli zu setzen. Das Publikum freut sich immer, wenn ein Hamburger Gesicht auftaucht, es freut sich aber auch, wenn Comedians ihr Set mit dem Satz „Ich komme aus Südtirol …“ beginnen. Schön als Hamburger ist natürlich, dass man breitesten Slang reden kann und alle einen verstehen. an der Kasse gearbeitet hat. Kabarettisten sind meist alte, weiße Männer, in Bayern sogar alte, dicke, weiße Männer. Sie schwadronieren über den Mindestlohn und das harte Leben der Pfle- gekräfte und fahren selbst immer 1. Klasse Bahn mit der Jahreskarte und sammeln heim- lich Immobilien. Darüber hört man in ihren Nummern aber nichts. Da sind mir Comedians lieber, da sie – Achtung überstrapaziertes Wort – authentisch sind. Ich selber spiele meine So- loprogramme immer in Alma Hoppes Lustspiel- haus in Hamburg, eine Bühne, auf der ich mich sehr zu Hause fühle. Sie sind Kabarettist, Autor von „Spiegel“- Bestsellern, Moderator, Redner – was fordert Sie ammeisten? Der Kick auf der Bühne, die unmittelbare Re- aktion des Publikums sind die beste und ge- sündeste Droge, die es gibt. Nach einem Auf- tritt ist man immer total aufgedreht und fühlt sich großartig und ist deshalb übrigens auch einen gewissen Zeitraum vermindert schuld- fähig. Wenn man also vom Hoteldach auf die Reeperbahn pinkelt, einen Fernseher aus dem Fenster schmeißt oder Ähnliches, und es stellt sich vor Gericht heraus, dass man kurz zuvor noch auf der Bühne bejubelt wurde, ist das hilfreich. Bücher schreiben ist das genaue Gegenteil, ich bin ganz allein mit meinen Tex- ten. Bücher sind immer Mammutprojekte. In der heißen Phase bringe ich meine Kinder, um 20 Uhr ins Bett, schlafe dann bis 22 Uhr und mache eine Nachtschicht bis der Wecker klin- gelt und ich die Kinder wieder anziehe, bizarr. 2022 gehen sieben Frauen ins Rennen um den Comedy Pokal, ungewöhnlich viele. Den- noch sind Männer im Genre Comedy klar in der Überzahl, woher kommt das? Ich denke, es gibt noch viele unentdeckte Ko- mikerinnen, die sich vielleicht nicht trauen, es auf der Bühne zu probieren. Deshalb hier ein Aufruf: Wenn ihr eine Frau kennt, die immer wieder ihr Umfeld zum Lachen bringt, ermutigt sie, es auf der Bühne zu probieren. Wir vom Pokal beraten gerne, meldet euch. Und wer gut ist, setzt sich auf jeden Fall durch. Ich bin zum Beispiel Fan von Annalena Baerbock. Allein die Vorstellung, dass Deutschland den Russen drohen könnte, finde ich einen grandiosen Gag. Müssen wir nur noch einen Tornado finden, der auch fliegt. Interview: Dagmar Ellen Fischer 28.–31. JANUAR tivoli.de 34 Foto: Rocket&Wink THEATER Günther Gründgens imSchauspiel Günther Gründgens – nie gehört? Tatsächlich ist er mit dem berühmten Gustaf weder verwandt noch verschwägert, denn es gab ihn gar nicht. Und dennoch wird ihm ausgerechnet am Deutschen Schauspielhaus ein Abend gewidmet: „Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein“. Darin dichten Regisseurin Barbara Bürk und Musiker Clemens Sienknecht dem legendären ehemaligen Schauspielhaus-Intendanten einen Zeitgenossen als Namens­ vetter an, dessen (fiktives) Leben indes einen gänzlich anderen Verlauf nahm: Obwohl auch als Sänger und Schauspieler in Operette, Film und Theater tätig, blieb ihm der Erfolg versagt. Das hindert den ebenfalls frei erfundenen „Klub der Freunde von Günther Gründgens“ nicht daran, ihrem Idol einen musikali- schen Festakt auszurichten und darin biografische Stationen Revue passieren zu lassen. An dieser Heldenfeier lässt die Fangemeinde das Publikum teilha- ben, und dafür wurde ein an Peinlichkeiten kaum zu überbietendes Programm auf die Beine gestellt. Ein Auftritt der Lambada Dance Company Hopphausen Weiersbach e. V. dürfte die unter(irdisch)ste Grenze der Veranstaltung markie- ren. Eine witzige Parabel auf fragwürdigen Starkult. (def) SCHAUSPIELHAUS, 21. JANUAR (PREMIERE), weitere Termine Um alles in der Welt – Lessingtage 2022 Theaterfestival 20. Januar bis 6. Februar thalia-theater.de/lessingtage

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