Januar 2020

33 THEATER Unter dem Motto „Wem gehört die Welt?“ finden zum 11. Mal die internationalen Lessingtage statt. Was damit gemeint ist und welche Fragen die Produktionen stellen, erzählen die Leiterin Nora Hertlein und die Dramaturgin Emilia Heinrich Foto: Manu Peralta DenBlick erweitern LESSINGTAGE nicht so sehr auf der kognitiven Landkarte haben, wenn sie an Kolonialisierung denken. Vielen ist nicht bewusst, dass Grönland immer noch nicht vollständig unabhängig von der ehemaligen Ko- lonialmacht Dänemark ist. Somit erweitert das Stück die Perspektive auf das Thema. EH: Das Stück ist auch ästhetisch sehr beson- ders, weil es kein didaktisches Erklärtheater ist, sondern eine fiktive Geschichte entwirft: Im Plot ist ein Schiff mit einer Bohrinsel kollidiert, die illegal dort vor Grönland aufgebaut wurde, wobei Menschen ums Leben gekommen sind. In einer Mischung aus Live-Theater und Film auf Leinwand dreht sich die Geschichte dann um die Aufklärung des Kriminalfalls – wie ein Thriller. Sie betonen die internationale Ausrichtung der Lessingtage. Was erwartet die Zuschauer au- ßerhalb von Europa? EH: Das Stück „Orest in Mossul“ von Milo Rau, nach der Orestie von Aischylos, hat eine interes- sante politische Fragestellung. Rau wendet die Folie der Orestie – die nach Selbstbestimmung in der Durchbrechung einer Spirale von Gewalt und Rachemorden fragt – auf die politische Situa- tion im Irak an. 2014 hat dort der selbst ernannte „Islamische Staat“ das Kalifat ausgerufen. 2017 wurde die Stadt Mossul im Norden des Landes zurückerobert. Rau ist unter anderem mit der Fragestellung dorthin gereist, wie man mit ge- fangenen IS-Terroristen umgeht. Er spricht gerne vom „globalen Realismus“ als Kunstform – weil Nora Hertlein und Emilia Heinrich, wem gehört denn die Welt? Emilia Heinrich: Jeder mit gesundem Menschen- verstand würde natürlich sagen, dass die Welt entweder allen oder niemandem gehört. Der Titel ist bewusst polemisch formuliert, um auf Phäno- mene wie Kolonialisierung und Ausbeutung der Umwelt zu verweisen. Alle Produktionen beschäf- tigen sich mit diesen beiden Formen ungerechter Machtverteilung und den daraus resultierenden Folgen – aber fast immer mit einem positiven, selbstbestimmten Gestus. Wie genau bringen sich die Produktionen in die aktuellen Debatten ein? Nora Hertlein: Ein Beispiel: Das Stück „Arctic“, eine Dystopie der belgischen Regisseurin Anne- Cécile Vandalem, vereint beide Themen. Es geht um die Ausbeutung von Grönland und die Eis- schmelze, die diese Ausbeutung ermöglicht. Grönland ist eine Lokalität, die die Zuschauer

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