Januar 2019
33 THEATER Julia Lochte, das diesjährige Motto der Lessingtage ist „Hear Wor(l)d!“. Was bedeutet das? Julia Lochte: Der Titel ist aus dem Namen eines zentralen Gastspiels entwickelt, „Hear Word! Nai- ja Woman Talk True“, in dem Schauspielerinnen aus Nigeria erzählen, was die Frauen in ihrer Hei- mat bewegt. Wir haben daraus „Hört der Welt zu!“ gemacht. Wir wollen die Vielstimmigkeit zulassen, auch Stimmen, die sonst nicht gehört werden. Das ganze Festival ist ein Plädoyer für die offene Gesell- schaft, entgegen der Ausgrenzungsmechanismen, die leider überall entstehen. Das Theater entwickelt eine große Kraft, wenn es so viele Stimmen aus den verschiedensten Ländern versammelt. Die Stücke erheben eine Stimme, um auf ein be- stimmtes Thema aufmerksam zu machen? Ja, oder sie sind in sich selbst schon viel- stimmig. Das russische Gastspiel „Who is Happy in Russia“ ist eine der großen Inszenierungen von Kirill Serebrenni- kov, der im Moment mundtot gemacht werden soll. Er befindet sich gerade in einem Prozess und steht schon lange unter Hausarrest. Trotzdem arbeitet er unter schwierigsten Bedingungen, kom- muniziert nur über seine Anwälte. Aber sein Gogol Center in Moskau spielt wei- terhin. Deshalb ist es so wichtig, dass das Stück auch außerhalb von Russland gezeigt wird. Ebenso haben wir zwei Exil-Ensembles eingeladen. Collec- tive Ma’louba mit syrischen Geflüchteten, die hier in Deutschland leben, reden über ihre Exil-Situation, und das Exil-Ensemble vom Maxim Gorki Theater Berlin zeigt die „Hamletmaschine“ von Heiner Müller. Ein weiterer Schwerpunkt ist die postkoloniale Emanzipation… Der Postkolonialismus ist ja generell ein Thema. Wir zeigen zwei Stücke aus Afrika. Es ist uns wichtig, die Menschen, die es direkt betrifft, über sich und ihre Emanzipationsgeschichte sprechen zu lassen und ihnen Gehör zu verschaffen. Worauf habt ihr bei der Auswahl der Produktionen geachtet? Joachim Lux, Emilia Heinrich und ich kuratieren gemeinsam das Festival. Mindestens einer von uns hat die Produktion gesehen, die in Frage kommt und dann besprechen wir uns. So entsteht ein Pro- gramm, das natürlich immer in Gedenken an Les- sing mit einer offenen Gesellschaft und dem Tole- ranzgedanken zu tun hat. Was muss ein Stück mitbringen, damit ihr euch dafür entscheidet? Sie dürfen sehr unterschiedlich sein. In der Gauß- straße zeigen wir zum Beispiel eine Tanzthea- ter-Truppe aus dem Libanon, die das Stück „#mina- ret“ über die Zerstörung von Aleppo auf die Bühne bringt. Es zeigt, mit welchen anderen Mitteln als denen des Sprechtheaters künstlerische Formulie- rungen entstehen können. Beirut stellen wir, ne- ben Hamburg und New York, auch auf der Langen Nacht der Weltreligionen vor. Der Abend dreht sich um das Zusammenleben der verschiedenen Reli- gionen in der Stadt. Dazu wird die deutsch-ameri- kanische Autorin Deborah Feldman kommen, die in ihrem Buch „Unorthodox“ erzählt, wie sie in der ultraorthodoxen jüdischen Glaubensgemeinschaft der Satmarer im New Yorker Stadtteil Williamsburg aufgewachsen ist. Interview: Hedda Bültmann AB 18. JANUAR Lessingtage; Thalia Theater LESSINGTAGE Foto: George Udeze Zum zehnten Mal findet am Thalia Theater das internationale Festival für eine offene Gesellschaft statt und vereint die unterschiedlichsten Stimmen. Wie das auf der Bühne aussieht, erzählt Chefdramaturgin Julia Lochte Hört derWelt zu!
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